Das Erstarken der NSDAP in Rosenheim und der 1. Gautag 1929

Nur neun Tage nach der allgemeinen Wiedergründung der NSDAP im Münchener Bürgerbräukeller am 27. Februar 1925 (die Partei war seit dem Hitler-Putsch im November 1923 verboten) erfolgte auch in Rosenheim der erneute Aufbau der Ortsgruppe durch Josef Riggauer.

Doch trotz des Auftretens von führenden Persönlichkeiten wie Julius Streicher und Hitler selbst, war der Zulauf mit zunächst nur 50 Mitglieder nicht groß. 1922 waren immerhin 320 Mitglieder zu verzeichnen.
Auch die Errichtung neuer Stützpunkte in Aibling, Flintsbach, Prien und Kolbermoor ging ziemlich schleppend voran. Mit ein Grund für den Popularitätsverlust dürfte die anti-katholische Haltung der Nazis gewesen sein, die in der stark religiös geprägten bayerischen Gesellschaft zunächst auf wenig Gegenliebe stieß. Dies bedeutete jedoch nicht, dass die NSDAP im Begriff war, von Rosenheims politischer Bühne zu verschwinden, vielmehr sorgte sie bzw. ihre offen zur Schau getragene Feindschaft zu den republikanischen und linken Gruppen weiter für Schlagzeilen.

Am Fall von Matthias Mann, mit dem die Rosenheimer Ortsgruppe durch eine Messerstecherei zu ihrem "Märtyrer der Bewegung" gekommen war, wird dies besonders deutlich. Der 1898 im württembergischen Oberbalzheim bei Laubheim geborene Matthias Mann, seit 1922 Mitglied in der NSDAP, war nach seiner Teilnahme am 1. Weltkrieg Gendarmeriewachtmeister in Rosenheim und Lenggries, nach seinem Abschied Reisender bei der Rosenheimer Mineralöl- und Brennstoffhandel GMBH.

Am 27. Juni 1925 gerät Mann im Gasthaus "Beflügeltes Rad" gegen 1.30 Uhr nachts mit einem anderen späten Gast, Martin Gruber, in Streit über seine Teilnahme am 1. Weltkrieg. Die nun folgende Schlägerei, an der neben Mann und Gruber auch dessen Bruder, der Bahngehilfe Sebastian Gruber, der Hilfsarbeiter Albert Stadler und der Galvaniseur Josef Staudinger beteiligt waren, wurde vor dem Wirtshaus fortgesetzt, wobei Matthias Mann durch einen Messerstich tödlich verletzt wurde.
Wer den Messerstich führte, konnte später nicht mehr ermittelt werden. Allen Anschein nach war diese, letztlich eher private und auf die unterschiedlichen pazifistischen bzw. national-militaristischen Ansichten der Streitenden zurückzuführende Auseinandersetzung der primäre Grund für die mit Manns Tod endende Schlägerei.
Da Mann aber Parteimitglied war und die Täter der KPD zumindest nahestanden, war es für die Nationalsozialisten von vornherein festgestanden, dass es sich um einen "ruchlosen Mordanschlag der Bolschewisten", also einen politischen Rachakt handelte. Am 6. Oktober 1925 verurteilte das Landgericht Traunstein den bereits Vorbestraften Albert Stadler zu 2 Jahren Haft.
Die vom Staatsanwalt geforderte Zuchthausstrafe von 10 Jahren wurde nicht verhängt, da zwar vieles für "Stadler als Haupttäter spreche, dies aber dennoch nicht mit Sicherheit feststellbar" sei. Martin Gruber erhielt 1 Jahr und 3 Monate, Sebastain Gruber 3 Monate und Staudinger 6 Monate Gefängnis. Auch diese, als viel zu milde angesehenen Urteile riefen große Proteste in rechten Kreisen hervor, wobei nicht vergessen wurde, die Rechtssprechung als "vollständig verjudet" anzuprangern.

Die Auseinandersetzung zwischen rechten und linken Kräften eskalierte also auch in Rosenheim zunehmend. Dennoch blieb der "Erste Oberbayerische Gautag der NSDAP", der am 31. August und 1. September 1929 in Rosenheim stattfand, von Saalschlachten und Straßenkämpfen verschont, auch wenn die Gendarmerie in erhöhter Alarmbereitschaft war und die Rotfrontkämpfer nur auf eine Gelegenheit zur Auseinandersetzung warteten.
Da der Stadtmagistrat aber für dieses Wochenende alle Aktionen von Vereinen untersagte (z.B. durfte der Arbeiterturnverein anlässlich seines Abpaddelns auf dem Inn nicht mit seinen Ruderern durch die Innenstadt marschieren), blieb es in Rosenheim sehr ruhig.

Lediglich Kritzeleien wie "Tod dem Faschismus" wurden auf das Trottoir der Hauptstraßen gemalt. Als etwaige Eskalationsmöglichkeiten, die sich im Laufe des Gautages boten, führte Bürgermeister Kreuter in seinem Wochenbericht vom 2. September noch an, dass eine Gruppe von Nationalsozialisten die Versammlungsstätte im "Hofbräu" verließ und dem nahegelegenen "Pernlohner", wo sich Gewerkschaftszentrale und Versammlungsort der hiesigen Kommunisten befand, einen Besuch abstatteten.
Dabei sangen sie rechtsradikale Lieder, wurden aber von der SS bald wieder entfernt. In Pang drohten Kommunisten vorbeifahrenden, nationalsozialistischen Radfahrern mit hochgehaltenen Fäusten und Stöcken. Alles in allem hinterließ der Gautag, bei dem unter anderem auch der bekannte NSDAP-Funktionär Wilhelm Frick und der Gauleiter Fritz Reinhardt gesprochen hatten, bei der Bevölkerung nicht den erhofften Eindruck.
Nicht einmal die sportlichen Wettkämpfe der ein Jahr zuvor im Flötzinger Löchl gegründeten Rosenheimer Hitlerjugend auf dem Sportplatz in der Ellmaierstraße vermochten eine große Zahl von Schaulustigen anzulocken.
Auch erschienen statt der erwarteten 1.500 NSDAP-Mitglieder lediglich ca. 650 Personen. So konnte es sich das noch katholisch-demokratisch geprägte "Rosenheimer Tagblatt Wendelstein" erlauben, sich über den nationalsozialistischen Gautag lustig zu machen.

Doch das sollte sich bald ändern. Spätestens seit dem 22. Dezember 1929, dem Tag des Volksentscheids gegen den Young-Plan, der die an die Alliierten zu zahlenden Reparationen behandelte, zeichnete sich ein wieder stärker werdender Zulauf zu rechtsradikalen Gruppierungen und somit auch zur NSDAP ab.
Bei der Reichstagswahl ein Jahr später war die NSDAP nach der BVP und der SPD die Partei mit den meisten Wählerstimmen in Bayern. Nun kam es auch in Rosenheim wieder vermehrt zu Tumulten und Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten, die nun in immer größerem Ausmaß provozierende Märsche und Lastwagenfahrten durch die Stadt durchführten, wobei sie sich ungeniert über das, die SA betreffende, Uniformverbot hinwegsetzten.
Sofern überhaupt polizeilich eingeschritten wurde, richteten sich die Repressalien aber in der Regel gegen die Kommunisten, während den Nationalsozialisten fast freie Hand gelassen wurde.