Judenverfolgung und Reichspogromnacht

Schon 1933 begann der Terror gegen die jüdischen Einwohner in Rosenheim.

Am 1. April 1933 veröffentlichte der Rosenheimer Anzeiger einen Aufruf zur Aufstellung von Wachen vor sämtlichen jüdischen Geschäften, welche die Aufgabe hatten, vor dem Einkauf in diesen Läden mit Schilder wie "Deutsche, kauft nur bei Deutschen..." zu warnen.
Durch uniformierte Abteilungen der Rosenheimer SA wurde diese Aktion durchgeführt. Vandalismus und tätliche Angriffe gegen Personen waren allerdings untersagt. So ging dieser erste landesweit organisierte Boykott gegen jüdische Einwohner in Rosenheim ohne Zwischenfälle über die Bühne. Aus Angst vor Ausschreitungen hielten die betroffenen Geschäftsbesitzer ihre Läden geschlossen.

Doch war dies nur der Anfang einer Reihe von Repressalien und Anfeindungen, die bis 1938 vier jüdische Geschäftsleute zur Aufgabe ihrer Läden brachte. Mit Widerruf von Einbürgerungen, Verleumdungen, Überfällen, Verhaftungen und Boykotten versuchten die Nationalsozialisten, die Rosenheimer Juden zu vertreiben.

Dabei half es auch wenig, dass die Bevölkerung nach wie vor die jüdischen Geschäfte frequentierte. Die SA-Posten hinderten die Käufer oft mit Gewalt am Betreten der Läden. Als sich die Beschwerden der jüdischen Geschäftsinhaber, vor allem aber auch von Kunden häuften, wurden diese Aktionen in Rosenheim schließlich sogar von der Münchener Gestapo untersagt. Diese wollte die in der Bevölkerung durch die Einzel- und Sonderaktionen hervorgerufene Unruhe zunächst unter Kontrolle halten.

Die Angriffe auf Rosenheimer Juden wurden zwar hauptsächlich von einer kleinen, fanatischen Clique geführt, die aber stets auf die Rückendeckung der lokalen Parteiführung und der Polizei rechnen konnte. Die SA-Posten vor den jüdischen Geschäften entfalteten ihren Terror, der in Rosenheim weit über das landesübliche Maß hinausging, nahezu ungehindert.
Im Gegensatz zu den massiven Protesten bei kirchenfeindlichen Maßnahmen, half die Rosenheimer Bevölkerung den jüdischen Mitbürgern nur wenig. In der Regel war es die Landbevölkerung, die für die Boykott-Aktionen an jüdischen Geschäften kein Verständnis hatte. Doch die schrittweise "Entbürgerlichung" der deutschen Juden, die Rückendeckung für die SA-Posten vor den jüdischen Geschäften und die offene Gewalt gegen die Juden hinderte viele Rosenheimer, für die jüdischen Mitbürger einzutreten.

Die Angst, selber als "Volksverräter" Repressalien ausgesetzt zu sein, war stärker.

Die Verfolgung der Juden gipfelte in der am 9. und 10. November 1938 inszenierten "Reichspogromnacht"*. Im ganzen Deutschen Reich brannten in diesen Nächten die Synagogen, wurden jüdischen Geschäfte und Wohnungen zerstört.
In Rosenheim überfiel die in Räuberzivil gekleidete SA die beiden letzten jüdischen Geschäfte von Adolf Westheimer und Samuel Obernbreit. Passanten und Anwohner nutzten noch die Morgenstunden, um die noch unversehrten Verkaufsartikel zu plündern. Auch die Versicherung gegen Sachschäden half den jüdischen Geschäftsinhabern nichts. Die Leistungen der Versicherungsgesellschaften gingen nicht an die Geschädigten, sondern direkt in die Staatskasse. Im Gegenteil hatten die Juden "zur Sühne" eine Sondersteuer in Höhe von einer Milliarde Reichsmark zu bezahlen.

Bis Ende des Jahres 1938 konnte der Rosenheimer Oberbürgermeister Johann Gmelch melden, dass kein jüdisches Geschäft mehr existiere. Bis April 1939 verließen die meisten Juden, die zum Zeitpunkt der "Reichspogromnacht" noch in Rosenheim lebten, die Stadt. Einigen gelang die Emigration - zumeist in die Vereinigten Staaten.
Zurück blieben nur die Familien Fichtmann und Obernbreit. Samuel Obernbreit starb noch im gleichen Jahr im Alter von 75 Jahren. Seine Frau und seine Tochter blieben in Rosenheim. Am 28. April 1942 wurden sie von der Gestapo in das Barackenlager München-Milbertshofen und von dort nach Theresienstadt deportiert, wo sie ums Leben kamen. 

*An Stelle der von den Nationalsozialisten verwendeten euphemistischen Bezeichnung „Reichskristallnacht“, die bis zum Ende der 1970er Jahre in der deutschen Erinnerungskultur weiter Verwendung fand, wird heute der Begriff Reichspogromnacht verwendet.

Zeitzeuge