Wanderphotographen in Rosenheim

Außer in der Hauptstadt München, wo bereits 1839 Daguerre-Originale, die der Erfinder dem bayerischen König Ludwig I. geschenkt hatte, besichtigt werden konnten, hatte die bayerische Bevölkerung in der Frühzeit der Photographie kaum eine Vorstellung von der neuen Erfindung. Wanderphotographen, die wie Schausteller von Ort zu Ort zogen und jeweils einige Tage oder Wochen zur Vorführung blieben, machten das neue Medium bekannt. Oft genügte das Absteigen in einem größeren Wirtshaus als Mundpropaganda; manchmal war aber auch ein Werbeinserat in der lokalen Zeitung erforderlich, in dem um zahlreichen Besuch gebeten wurde, da die Dauer des Aufenthalts nur sehr kurz sei.

In der Frühzeit der Photographie, die für Rosenheim bis in die 1850er Jahre reicht, gab es in Rosenheim keine festansässigen Ateliers. Die Nachfrage nach der neuen Portraitierkunst konnte noch mit Wanderphotographen gedeckt werden. Diese frühen Wanderphotographen übten neben der Photographie meist noch einen anderen Beruf (häufig Maler oder Lithograph) aus bzw. betrieben diese Tätigkeit mehr oder weniger als "Hobby".

Max Treleano

So erscheint erstmals 1855 im Rosenheimer Wochenblatt die Werbeanzeige des Malers (!) Max Treleano, der die Ausführung von "Glas-Photographie-Portraiten" in sprechender Ähnlichkeit und zu billigen Preisen zusichert 4). Weitere Angaben über Treleano, der vermutlich als Wanderphotograph tätig war, fehlen.

Auffällig ist die angepriesene Ausfertigung von Glasphotographien. Offensichtlich handelte es sich nicht mehr um die damals noch sehr gängigen Daguerreotypien, sondern bereits um Ambrotypien, d.h. schwarz hinterlegte Glasplatten, auf denen ein gezielt unterbelichtetes und unterentwickeltes Kollodiumnegativ als positives Bild erscheint. Ambrotypien als die einfacher herstellbaren Bilder, die auch noch preiswerter in der Fertigung waren, verdrängten bis 1860 die Daguerreotypie vollständig.

Ernst Kuno von Fallot-Gemeiner und Photograph Kiefhaber

1859/60 lädt der Magistrat den Reisephotographen Ernst Kuno von Fallot-Gemeiner vor, der ohne Berechtigung in Rosenheim das Photographieren ausübt 5). Dazu war nämlich seit 1849 eine besondere Lizenz der Distriktspolizeibehörde (= Landgericht Rosenheim) notwendig, die über die persönliche Geschicklichkeit, die Brauchbarkeit der Apparate und den guten Leumund des Photographen Auskunft gab 6).

Ernst Kuno von Fallot-Gemeiner war Gutsbesitzerssohn aus Sankt Mariakirchen im Landgericht Pfarrkirchen (heute: Landkreis Eggenfelden). Aus dem Militärdienst war er im Rang eines Kadetten ausgeschieden und betätigte sich auf seinen Vergnügungsreisen gelegentlich als Photograph, wobei er - bei einer gut dotierten jährlichen Apanage - kein gewerbsmäßiges Photographieren ausüben mußte.

Auf Nachfragen gibt er als Qualifikation an, das Photographieren bei dem Photographen Bscherer gelernt zu haben. Vermutlich ist damit der Glaser und Photograph Josef Bscherer gemeint, der in München von 1854 bis 1883 tätig war 7).

Fallot-Gemeiner kam im Sommer 1859 von Innsbruck nach Rosenheim. Von dem sich zu dieser Zeit in Rosenheim aufhaltenden Photographen Kiefhaber, der im November 1859 abreiste, tauschte Fallot eine Kamera ein.

Da Fallot-Gemeiner beim Magistrat lediglich eine Aufenthaltsbewilligung - ohne Photographierlizenz der Polizeibehörde - beantragt hatte, wurde ihm mit Magistratsbeschluß vom 16.01.1860 das Photographieren in Rosenheim verboten, wogegen Fallot Widerspruch einlegte. Der Ausgang dieser Streitsache ist im Akt aber nicht mehr nachvollziehbar; auch über ein wahrscheinliches Abreisen Fallots im Jahr 1860 ist nichts bekannt.

Ebenso fehlen alle weiteren Angaben über den bis 1859 in Rosenheim tätigen Photographen Kiefhaber.

H. König

Im Juli 1862 inseriert im Rosenheimer Wochenblatt ein Photograph H. König, der im Garten des Herrn Bernrieder 8) "Photographien aller Art" anfertigt 9). Als Qualifikation beruft sich König auf das ihm entgegengebrachte Vertrauen bei seiner letzten Anwesenheit, so daß er vor seinem Aufenthalt 1862 bereits in Rosenheim tätig gewesen sein muß.

Hermann Graf von Holnstein

Interessant ist die Werbeanzeige des "photographischen Kunstanstaltsbesitzers" H. v. Holnstein aus München, der im September 1865 im Rosenheimer Anzeiger auf seine Tätigkeit in Rosenheim hinweist 10).

Hermann Graf von Holnstein war 1863 bis 1868 als Photograph in der Maximiliansstraße 14 in München tätig. Vor 1863 lautete seine Berufsbezeichnung "Privatier" 11).

Neben Portrait- und Landschaftsaufnahmen bietet Holnstein auch Chromo-Photographien und das Einbrennen von Portraits auf Porzellan oder andere Materialien an. Dabei handelt es sich um den seit 1864 beliebten Pigmentdruck, bei dem durch eine mit Bichromat empfindlich gemachte Gelatineschicht im Kopierverfahren ein Bilddruck entsteht, der auf jedes andere Material (z.B. Porzellan) gedruckt werden kann.

Holnstein fertigte seine Aufnahmen im Freien im Haus des Schneidermeisters Hirsch in der "Eisenbahnstraße" (heute Königstraße) 12)  an, wobei er ausdrücklich erwähnt, daß der Aufnahmeplatz abgeschlossen ist. Eine Beeinträchtigung durch die Anwesenheit von Neugierigen war also ausgeschlossen.

A. Burr

Amerikanische Schnell-Photographie bot der Reisephotograph A. Burr im Juli 1869 im Postgarten (Alte Post, Kolpinghaus) an 13).

Unter diesem Verfahren ist die billige und schnelle Ferrotypie gemeint, bei der auf schwarz- oder braunlackiertem Eisenblech eine lichtempfindliche Schicht aufgetragen wurde. Innerhalb von wenigen Minuten erhielt der Kunde sein Portrait, so daß die Ferrotypie gerade bei Reisephotographen sehr beliebt war.

Hermann Schwegerle

Hermann Schwegerle war von 1870 bis 1871 in Augsburg tätig 14), muß dann nach München gereist sein, da er sich in seinem Werbeinserat im Rosenheimer Anzeiger 1872 als Photograph aus München - Augsburg bezeichnet 15).
Schwegerle hatte für die Dauer seines Aufenthalts in Rosenheim vom 21. Juli bis zum 20. Oktober das Atelier des bereits in Rosenheim ansässigen Photographen Max Braun in der Innstraße gemietet.
 

C. Dierkes

Über 40 Jahre später erscheint im April 1913 16) nochmals die Annonce eines Wanderphotographen, der für zwei Tage im Duschlbräu am Max-Josefs-Platz logierte. Zu diesem Zeitpunkt bestanden allerd ings bereits mehrere Ateliers in Rosenheim, so daß die Frequentierung und der geschäftliche Gewinn für Dierkes eher gering gewesen sein mag.

Ein Problem bei den Wanderphotographen blieb das Umherreisen und damit kein fester Wohn- und Arbeitsort. Gerade auf dem Land bot sich hier für Kleinkriminalität wie Betrug ein reiches Betätigungsfeld. Beispielhaft für den Raum Rosenheim ist der Fall Johann Lanz.

Johann Lanz

Geboren 1871 in Rohrdorf, war zunächst in Irschenberg/Miesbach beheimatet; seit dem 03. Juli 1907 war er in Rosenheim gemeldet, wo er auffällig oft die Wohnung wechselte. Als Beruf nennt der Polizeiakt zunächst "Reisender", dann Reisephotograph, aber auch Postkartenhersteller, Papierwarenvertreter und Hausierer.

Eine Spezialität Lanz' war es, von Häusern, vor allem Gasthöfen, Photoaufnahmen zu machen und diese als Großbestellung dem Hausinhaber aufzuschwatzen, der wegen der hohen Fertigungskosten eine große Summe im voraus zu begleichen hatte. Entweder verschwand Lanz mit dem Geld sofort oder er gab tatsächlich bei einer Firma den Druck in Auftrag, "vergaß" dann aber die Bezahlung.

Mehrere Strafverfahren waren gegen ihn anhängig; unter anderem war er 1904, 1909, 1910 und 1916 vom Landgericht Traunstein zu Gefängnisstrafen verurteilt worden 17).

Daß solche "Berufsgenossen" den Photographenstand in Verruf brachten, zeigt auch eine Beschwerde der etablierten Photographen über Geschäftsschädigung durch solche Hausierer 18).

Originalprodukte der Wanderphotographen oder frühen ansässigen Photographen in Rosenheim haben sich kaum erhalten.

Lediglich zwei Daguerreotypien eines unbekannten Photographen, die das Ehepaar Seraphin und Rosa Greiderer zeigen, sind erhalten. Beim Gastwirt Greiderer hielt sich offenbar in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts ein Wanderphotograph auf, der auch seine Wirtsleute ablichtete.