Der Geschäftsmann Franz Xaver Simson

Über die geschäftliche Situation Simsons liegen nur sehr spärlich Unterlagen vor.

Am besten geben die Beurteilungen Simsons für die Hoftitelverleihung Auskunft über seine geschäftliche Etablierung. So heißt es unter anderem in Bürgermeister Wüsts Empfehlung, "(...) Simson gilt daher (...) als der weitaus tüchtigste seines Faches. Vor 7 Jahren hier zugezogen, hat er aus kleinen Anfängen sein Geschäft alsbald zum ersten der Stadt erhoben und er erfreut sich auch auswärts eines großen Rufes. Diesen Erfolg erzielte er hauptsächlich dadurch, daß er es versteht, dem, was er schafft, das Gepräge künstlerischen Erfassens, formvollendeter Darstellung bei geschmackvollster Anordnung und gediegenstem Arrangement zu geben" 1).

Hervorgehoben werden auch die moderne Ausstattung des Ateliers mit allen neuen technischen Errungenschaften sowie Simsons großer Erfolg bei der Gewerbeausstellung 1898.

Wechselwirkung zwischen gesellschaftlicher und geschäftlicher Etablierung

Für eine schnelle geschäftliche Etablierung war zunächst die gesellschaftliche Anerkennung notwendig, das "Dazugehören" zu einem vorhandenen sozialen Gefüge von Bessergestellten. Als Franz Xaver Simson 1895 nach Rosenheim übersiedelte, trat er in mehrere Vereine ein, die ein höhergestelltes, gutbürgerliches Publikum aufzuweisen hatten - geschickt überlegend, daß hier das Potential für einen künftigen, zahlungskräftigen Kundenstamm angelegt sei. Daß diese Taktik aufgegangen ist, soll beispielhaft an der Mitgliedschaft Simsons in drei sehr renommierten Vereinen Rosenheims gezeigt werden.

Bereits im Dezember 1895, also einen Monat nach seinem Umzug nach Rosenheim trat Simson in die "Liedertafel" 2), den späteren "Musikverein" ein, wo er seit 12. 0ktober 1896 in der Vorstandschaft das Amt des Tafelmeisters ausübte.

1906 wird er bereits als Mitglied im Historischen Verein 3), 1911 im Verschönerungsverein 4) geführt. Bei beiden letzteren Vereinen kann die Mitgliedschaft natürlich auch viel früher begonnen haben; definitiv aus den Unterlagen läßt sie sich erst nach der Jahrhundertwende nachweisen.

Die Mitglieder dieser Vereine setzten sich hauptsächlich aus höheren und gehobenen Beamten, selbständigen Handwerksmeistern und Geschäftsleuten sowie anerkannten Honoratiorenberufen (Pfarrer, Lehrer, Apotheker, Arzt etc.) zusammen. Durch die Mitgliedschaft und damit einen gesellschaftlichen Umgang mit "besseren Kreisen" ergaben sich für Franz Xaver Simson auf jeden Fall auch geschäftliche Kontakte, da sich Simson vor allem auf Portraitphotographie spezialisierte. Daß ein Vereinsmitglied geneigt war, sich oder seine Familie bei einem (befreundeten) Vereinskollegen photographieren zu lassen, dürfte außer Frage stehen.

Eine vorläufige Auswertung von Simsons Kundschaft die, da keine Geschäftsunterlagen mehr erhalten sind, nur mittels des Bestellernamens auf jeder Negativplatte eruiert werden kann - ergibt bis 1918 einen wahrscheinlichen Kundenstamm Simsons aus den Angehörigen von Vereinskollegen von ca. 60 %.

Vor allem in seiner Anfangszeit in Rosenheim, wo 1895 ja bereits drei etablierte photographische Ateliers bestanden 5), bildete die Vereinsmitgliedschaft für Simson eine Möglichkeit zur geschäftlichen Etablierung. Seine ersten Stammkunden hat er aus diesem Bereich erhalten, wobei hier auch eine gute Quelle zur Mundpropaganda vorhanden war. So entstand eine Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichem und geschäftlichem Aufschwung, da der Ruf eines angesehenen Bürgers das berufliche Florieren nach sich zog, umgekehrt ein gutgehendes Photoatelier das persönliche Ansehen hob.
Auch die sozialen Kontakte mit anderen Vereinsmitgliedern brachten Simson berufliche Vorteile und Erfolge. Das persönliche Empfehlungsschreiben von Bürgermeister Wüst zur Hoftitelverleihung - ebenfalls wie Simson war Wüst Mitglied in den angeführten Vereinen - ist sicher gerade für einen Vereinskollegen besonders warm ausgefallen.

Einen geschäftlichen Aufschwung hat die Berechtigung zum Führen des Hoftitels auf jeden Fall gebracht, auf die gesellschaftliche Komponente dieser Titelverleihung muß eigens nicht mehr hingewiesen werden.

Auch Franz Xaver Simsons Frau Babette trug zum gesellschaftlichen Ansehen der Familie und damit zu einem geschäftlichen Aufschwung bei. Als Mitglied des Frauenbundes führte sie bei privaten Theaterinszenierungen Regie. Dabei handelte es sich um kleinere Stücke und allegorische Darstellungen, die im Rahmen gesellschaftlicher Veranstaltungen z.B. Faschingsbälle gezeigt wurden.
Babette Simson sorgte stets dafür, daß von diesen Aufführungen photographische Gruppenaufnahmen oder Einzelportraits gemacht wurden. Derartige Bilder haben sich recht zahlreich im Simson'schen Nachlaß erhalten. Sie zeigen vor allem Töchter der gutbürgerlichen Familien Rosenheims in verschiedenen Kostümen.

Grundsätzlich bleibt anzumerken, daß Franz Xaver Simsons Mitgliedschaft in den genannten Vereinen neben dem geschäftlichen Aspekt auch Neigungssache war. So war Simson zum Beispiel sehr musikalisch und konnte - wie sich eine Enkeltochter erinnert - ausgezeichnet Klavier spielen. Der Vereinsbeitritt zur Liedertafel lag deshalb nahe.

Anmerkungen

1) StadtA Ro, Akten I A 3, 117
2) Festschrift zur Goldenen Jubel-Feier der Rosenheimer Liedertafel. 1846-1896. Verfaßt von Leonhard Niklas. Schriftführer des Vereins. Rosenheim (1907)
3) StadtA Ro. Akten VI A 4, 85
4) StadtA Ro. Protokolle B/Q, 1870
5) Es waren die Photoateliers von Kaspar Frank (seit 1887), von Karl Drechsler (seit 1889) und Johann Verra (seit 1893).

Werbemaßnahmen

Neben der reinen Mundpropaganda durch gesellschaftliche Beziehungen hat Franz Xaver Simson geschickt die zu seiner Zeit möglichen Werbemaßnahmen genutzt.

Das Zeitungsinserat

Die Anzeige in der lokalen Zeitung war schon in der Frühzeit der Photographie ein beliebtes Werbemittel. Ständiges Inserieren war allerdings in Rosenheim offenbar nie üblich gewesen. Nur besonders ehrgeizige Photographen machten durch häufigeres Inserieren auf sich aufmerksam. So praktizierte es Franz Riedl, der auffällig viele Anzeigen in die Zeitung setzte. Allerdings erwarb er sich dadurch auch den Ruf eines "marktschreierischen Geschäftsbetriebes", wie es Wüst in einem Schreiben an den Obersthofmeisterstab in München anläßlich Riedls Hoftitelbewerbung formulierte.Die Mehrzahl der Photographen trat nur sporadisch, in der Regel zu bestimmten Anlässen wie Geschäftseröffnung oder -verlegung, und zu besonderen Geschäftszeiten wie Weihnachten oder Fasching mit Inseraten an die Öffentlichkeit. Die Anzeige zur Geschäftseröffnung wurde meist mehrmals hintereinander in die Zeitung gesetzt, eine Praxis, die auch bei Franz Xaver Simson zu beobachten ist. Nach der Voranzeige zur Geschäftseröffnung im Oktober 1895 ließ Simson im November zweimal kurz hintereinander die eigentliche Eröffnung inserieren.

Zwei Wochen später folgte dann bereits die erste Werbeanzeige zum Weihnachtsgeschäft, die ebenfalls in sehr kurzen Abständen - am 15., 17. und 18. Dezember - veröffentlicht wurde.

Typisch für die Werbeannonce dieser Zeit ist - wie auch bei Simson - das Hervorheben von bestimmten Besonderheiten. Neben dem Anpreisen der Photographien selbst - in bester Qualität und zu soliden Preisen - rückte Simson auch die Vorzüge seines Ateliers in den Vordergrund. Typisch ist die Versicherung von Aufnahmen "bei jeder Witterung", was gerade in der Frühzeit der Photographie keine Selbstverständlichkeit war. Bei der nicht so hohen Empfindlichkeit der Photoplatten und meist noch ohne elektrischem Licht im Atelier waren die Tageshelligkeit und die Witterungsbedingungen ein zu bedenkender Faktor. Da die früheren Photoateliers häufig nur sehr spartanisch eingerichtet und meist recht unkomfortabel waren, weist Simson eigens auf sein nach "neuestem System (...), mit allem Comfort und den modernsten Apparaten ( ... )" ausgestattetes Geschäft hin. Unter anderem hieß dies auch "gut geheizte Räume" 6), was für jemand, der einmal im Winter in einem Glasatelier photographiert wurde, nicht zu unterschätzen war. Eine Besonderheit des Simson'schen Ateliers war auch ein eigener Umkleideraum, der für Kostümaufnahmen in der Faschingszeit benötigt wurde. Weihnachten und Fasching sind die Zeiten, in denen Simson hauptsächlich inserierte. Nach seiner Geschäftseröffnung im November 1895 folgen jährlich seine Werbeannoncen zur Faschingszeit für Kostümaufnahmen und zur Weihnachtszeit.

Bis 1902 inserierte Simson seine Anzeigen immer sehr oft, in der Regel vier Anzeigen kurz hintereinander. Diese Praxis änderte sich nach der Verleihung des Prinzen-Hoftitels im Jahr 1903. In vornehmer Zurückhaltung annoncierte der Hofphotograph nur noch eine Werbeanzeige zu Weihnachten,  in der er sich lediglich zu Weihnachtsaufträgen empfiehlt. Erst ab dem Jahr 1905/06 werden die Inserate wieder häufiger. Dies mag seine Ursache in einem größeren Konkurrenzdruck haben, da nach der Jahrhundertwende in Rosenheim immerhin bereits acht Photoateliers existierten, von denen vor allem der seit 1905 ansässige Franz Riedl besonders viel Werbung machte. In den Kriegsjahren 1914 bis 1918 entfielen die Werbeanzeigen aller Photographen allerdings vollständig. Insgesamt gesehen lag Franz Xaver Simson, was seine Werbemaßnahmen über die lokale Zeitung betrifft, im üblichen Rahmen. Es fallen weder überdimensional große, noch besonders originelle Inserate auf. In sachlich nüchterner, solider Formulierung wies ein respektabler Photograph auf sein Atelier und sein Können hin, ohne sich über die Werbung besonders aufzudrängen oder hervorzutun.

Eine Reklamemöglichkeit ließ Simson völlig außer acht: das Inserat in den "Geschäftsanzeigern" der örtlichen Adreßbücher. Diese erschienen in Rosenheim das erstemal 1890, und dann in unregelmäßigen Abständen von einigen Jahren. Aber die Möglichkeit dieser Werbemaßnahme war offenbar bei den Rosenheimer Photographen nicht sehr beliebt. Jedenfalls inserierten lediglich Kaspar Frank 1893 und Karl Drechsler 1896 ihre Geschäfte im Adreßbuch. Beide Photographen wiederum nutzten die Zeitungsannonce zu Werbezwecken fast gar nicht.

Werbung am Produkt - Rückseitenreklame

Das Versehen von künstlerischen Produkten mit einem Impressum war eine schon im 16. Jahrhundert bei Büchern und Kupferstichen geübte Praxis. Viele der frühen Photographen waren vorher als Maler, Kupferstecher oder Lithographen tätig gewesen und hatten diese Art der Kennzeichnung ihrer Arbeiten in das Medium Photographie eingebracht 7). Der Zweck war ein Urheberschaftsnachweis direkt auf dem gefertigten Bild, das mit seiner Aushändigung an den Kunden an die Öffentlichkeit gelangte. Diese Art Rechtsschutz wurde vor allem dann notwendig, wenn sich in einem Ort mehrere Photographen fest niederließen. Je mehr Photographien zu gängiger Ware wurden, desto größer und ausführlicher formulierte sich die Urheberadresse. Schließlich wandelte sich der bloße Herkunftsnachweis zur aufwendig gestalteten Reklame. Besonders nach Einführung der in der Größe einheitlichen Visitkartenformate (ab den 1860er Jahren) bot sich dem Photograph die Werbemöglichkeit auf der Vorder- und Rückseite seines Produkts. Auf der Vorderseite klebte man die Abzüge so in den Photokarton ein, daß - in der Regel am unteren Rand - Platz für ein handschriftliches Signet, später dann einen Prägestempel mit dem Namen des Photographen und seiner Geschäftsadresse blieb. Franz Xaver Simson verwendete hier schon sehr früh einen silbernen Prachtstempel.

Wichtiger allerdings als die Vorderseite, wiewohl sie den Blick des Betrachters zunächst anzog, war für die Werbung die Rückseite der Photokartons. Hier bot sich mehr Platz für eine häufig künstlerisch gestaltete Werbung mit schmückenden Aufdrucken und ornamentalen Verzierungen, wie sie auch Franz Xaver Simson verwendete. Interessant ist die Ähnlichkeit mit dem Rückseitenaufdruck, den Max Joseph Simson in Dillingen verwendete. Das Grundmotiv hat Franz Xaver völlig übernommen, lediglich Vornamenkürzel und Adresse sind verschieden. Außerdem weist Franz Xaver Simson auch auf Zusatzqualifikationen und Spezialisierungen hin, was bei seinem Vater noch fehlt. So empfiehlt sich Simson auf einem Rückseitenaufdruck für "Vergrösserungen selbst nach alten verblichenen Bildern unter Garantie vollster Ähnlichkeit ( ... ) Aufnahmen von Gebäuden, Innenräumen etc.etc.".

Nach der Verleihung des Hoftitels konnte Simson seinen Namen mit dem entsprechenden Wappen garnieren, das er werbewirksam sowohl auf der Vorderseite seiner Photokartons, als auch im Rückseitenaufdruck verwendete. Doch im Gegensatz zu vielen seiner Photographenkollegen blieben Simsons Kartonrückseiten immer eher zurückhaltend vornehm. Phantasiewappen wie sie Karl Drechsler verwendete oder gar die Ansicht des eigenen Ateliers, wie es Maria Frank praktizierte, lagen Simson fern.

Nach der Verleihung des Hoftitels fallen die Textaussagen seiner Werbeaufdrucke sogar besonders schlicht aus: das Anpreisen von besonderen Qualitäten unterbleibt nun, Simson gibt nur noch Name und Adresse sowie die Möglichkeit von Nachbestellungen und Vergrößerungen an. Die künstlerische Gestaltung der Werbeaufdrucke ist jedoch aufwendig und paßt sich dem allgemeinen Modegeschmack der Zeit an. So verwendete Simson in der Zeit zwischen 1903 und 1913 beispielsweise sehr schöne Jugendstilmotive.

Werbung über Schaukästen und Schaufenster

Ebenso alt wie die Werbung mit Zeitungsanzeigen ist das Ausstellen von Photographien in Schaufenstern und Schaukästen. Hier bot sich dem Photographen die Möglichkeit, einem potentiellen Kunden eine Kostprobe seiner Qualität zu geben, und direkt über ein ausgestelltes Original die Lust am Erwerb eines gleichartigen Portraits anzuregen. Franz Xaver Simson hat diese Reklameart ebenfalls genutzt. An der Münchenerstraße, vor und in dem Durchgang zu seinem Atelier im Innenhof des Gillitzerblocks, hatte er seine Schaukästen angebracht 8).

Notwendig war dies auch, um für sein von der Straßenseite nicht direkt einsehbares Geschäft Werbung machen zu können und damit auch auf die Geschäftslage hinzuweisen.

Diese Schaukästen nutzte Franz Xaver Simson für Ausstellungen seiner Produkte vor allem in der Weihnachtszeit, was bei seinen Kunden sehr gut angekommen sein muß. Schließlich wollte jeder sehen, ob sein Portrait vielleicht ausgestellt worden war.

Im Atelier selbst hatte Simson ebenfalls Photographieschaukästen stehen, die, wie es eine Portraitstudie deutlich zeigt, sogar in die Aufnahme mit eingebunden wurden (vgl. Abb. 49).

Werbung durch Empfehlungsschreiben an Kunden

Vor allem für das Weihnachtsgeschäft war diese Werbemöglichkeit eine gängige Praxis. Man verschickte an seine Kundschaft werbewirksam gestaltete Kärtchen, mit denen sich das Geschäft in Erinnerung rief. Franz Xaver Simson photographierte zu diesem Zweck seine Kinder in verschiedenen Kostümen, die als "Dekoration"; für Tafeln mit der Reklameschrift "Atelier Simson empfiehlt sich für Weihnachten" dienten. Gerade für das Weihnachtsgeschäft war dies eine sehr kluge Idee; die entzückenden Kinderaufnahmen rührten sicher viele Eltern und Großeltern und regten damit zum Bestellen von ähnlichen Photographien der eigenen Kleinen an.

Werbung durch Plakate

Der Vollständigkeit halber soll hier auch auf eine Werbemöglichkeit über Plakate an Litfaßsäulen hingewiesen werden. Im Photoplattenbestand von Franz Xaver Simson hat sich eine Negativplatte - leider in sehr schlechtem Zustand - erhalten, die ein Werbeplakat Simsons für Weihnachtsaufträge auf einer Litfaßsäule zeigt. Diese stand vermutlich vor dem Eingang zum Hotel "Deutscher Kaiser", wie aus einem teilweise noch sichtbaren Schriftzug am oberen Rand der Photoplatte erkennbar ist. Ob Simson dieses Publiktionsmittel "Plakat"; häufig eingesetzt hat, läßt sich definitiv nicht sagen. Die Anbringung eines solchen Werbeplakats war zwar vom Stadtmagistrat zu genehmigen, der entsprechende Gewerbeaufsichtsakt über das Photoatelier Simson fehlt allerdings.

Anmerkungen

6) Rosenheimer Anzeiger Nr.274 vom 29.1 1.1896; Nr.280 vom 06.12.; Nr. 285 vom 13.12.; Nr. 17.12.;
7) Hoerner, Ludwig: Das Photographische Gewerbe in Deutschland 1839-1914. Düsseldorf: GFW-Verlag 1989. S. 71 ff.
8) Nach Erinnerungen von Frau Liselotte Schürr, geb. Simson,einer Enkeltochter von Franz Xaver Simson

Der Geschäftsbetrieb

Betriebsgröße

Gewerbliche Photographie wurde zunächst nur in Kleinbetrieben, in der Regel Alleinbetriebe, ausgeübt. Trotz des großen Erfolgs, den die Photographie seit ihrer Entdeckung zunehmend verbuchen konnte, änderte sich an den Betriebsgrößen relativ wenig. Eine 1895 durchgeführte Aufgliederung der photographischen Unternehmen im Deutschen Reich ergab 3.086 Kleinbetreibe mit ein oder zwei Beschäftigten, 1.316 Mittelbetriebe mit bis zu zehn Beschäftigten und nur 87 Großbetriebe mit bis zu hundert Beschäftigten 9). Insgesamt kann man die wirtschaftliche Struktur dieser Branche wohl eher als kleingewerblich bezeichnen. Ein photographischer Normalbetrieb bestand - in einer kleineren Stadt - regulär nur aus dem Geschäftsinhaber selbst und eventuell noch einem Gehilfen.

Auch Franz Xaver Simsons Photoatelier war zunächst ein Alleinbetrieb. Erst 1909 erhielt Simson das Recht, Lehrlinge auszubilden, und hatte damit auch gleichzeitig jemand mit im Geschäft, dem er Arbeit zuweisen konnte 10). Simsons Geschäftsbetrieb hatte sich sehr schnell gut etabliert, die Empfehlung Wüsts zur Hoftitelverleihung merkt an, daß Simson sein Geschäft "aus kleinen Anfängen sehr bald zum ersten der Stadt" hochgebracht hat. 1911 steht Simson mit einem Jahresertrag von 2.250 Mark an dritter Stelle hinter Wilhelm Knarr und Hermann Frank 11). Drei Jahre später beträgt der Jahresreinertrag des Geschäfts bereits 3.200 Mark. Zu diesem Zeitpunkt hat Simson, wie eine statistische Erhebung zur Gründung einer Zwangsinnung Auskunft gibt, einen Gehilfen im Geschäft eingestellt. Vermutlich handelte es sich hierbei um den Photographen Heinrich Schauer, der bis zu seiner Einberufung 1916 für Franz Xaver Simson gearbeitet hat 12). Im Gegensatz zu vielen Photoateliers, in denen oft die Ehefrau des Photographen mitarbeitete, war Babette Simson im Geschäft ihres Mannes nur teilweise beschäftigt, auch wenn dieser später auch Frauen fest angestellt hatte.

Dies war aber im Simson'schen Atelier sicher erst in den 1920er und 30er Jahren der Fall, da die Beschäftigung von Frauen im Photographiegewerbe in der Kleinstadt erst lange nach der Entwicklung in den größeren Städten eintrat. Hier war sie bereits seit den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts eine gängige Praxis und 1873 schreibt der Wiener Photograph Löwy in einem Gutachten: "Bei dem Aufschwunge, welchen die Photographie gewonnen, ist die Benützung und Heranziehung weiblicher Kräfte in den Ateliers schon seit geraumer Zeit eine allgemeine und man findet in allen Ateliers Mädchen (selten Frauen) mit den verschiedenen Arbeiten betraut, auch nimmt die Verwendung dieser Kräfte immer zu, weil die Mädchen wegen ihrer netten und reinen Arbeiten, wegen selteneren Wechsels der Engagements und wegen Emsigkeit, endlich auch wegen der billigeren Entlohnung gegen die männlichen Arbeiter den Vorzug finden." 13). Allerdings wurden Frauen meist nur für niedrigere Tätigkeiten wie Präparieren der Platten, Kopieren der Bilder und kleinere Retouche-Arbeiten eingesetzt. In kleineren Ateliers waren die einzigen tätigen Frauen im Betrieb meist die Ehefrau und/oder eine Tochter. Beispielhaft sei hier noch einmal verwiesen auf Maria Verra, die nach dem Tod ihres Mannes Christian 1882 das Atelier allein weiterführte; oder Pauline Verra, die Tochter von Johann Verra, die ebenfalls das Atelier ihres Vaters weiterführte. Es ist schwer vorstellbar, daß beide Frauen vorher nie im Betrieb des Mannes oder Vaters mitgearbeitet haben, da ihnen dann schon die technischen Kenntnisse zur Geschäftsweiterführung gefehlt hätten.
In der Familie Simson verhielt es sich ähnlich, wenn auch Babette Simson wenig Ambitionen hatte, im Geschäft ihres Mannes mitzuwirken. Franz Xaver Simsons Tochter Dora jedoch arbeitete vor allem während des Ersten Weltkriegs aktiv im Geschäft ihres Vaters, obwohl weder sie noch ihre Schwestern später den photographischen Beruf erlernten.

So mußte Franz Xaver Simson, nachdem die Auftragslage dies notwendig machte, auf andere Mitarbeiter zurückgreifen. Zunächst scheint der Arbeitsanfall aber noch von Franz Xaver Simson allein bewältigbar gewesen zu sein.

Arbeitszeiten - Sonntagsarbeit

Dabei muß auch bedacht werden, daß Simson im eigenen Betrieb sich seine Arbeitszeit selber einteilen konnte. Erst mit Anstellen eines Gehilfen mußten im Atelier vorgeschriebene Ruhezeiten eingehalten werden. So bestimmte 1895 der Rosenheimer Stadtmagistrat für die Sonntagsruhe in Industrie- und Handwerksbetrieben, daß in den photographischen Anstalten die Beschäftigung von Arbeitern nur an den letzten vier Sonntagen vor Weihnachten für Portraitaufnahmen, Kopieren und Retouchieren in der Zeit von 9 Uhr vormittags bis 7 Uhr abends gestattet war. An allen übrigen Sonn- und Festtagen durfte in der Sommerzeit vom 1. April bis 30. September von 10 Uhr vormittags bis 4 Uhr nachmittags, im Winter nur bis 3 Uhr nachmittags gearbeitet werden 14).

Diese Regelung war insofern bedeutsam, weil der Sonntag für einen Portraitphotographen der Hauptgeschäftstag der Woche war. Am Sonntag hatte man frei und war sowieso für den Feiertag herausgeputzt. Das "Alltagsg'wand" blieb im Schrank, man hatte sich fein gemacht; und nur in besonderer Kleidung ließ man sich schließlich auch photographieren. So fürchteten die Photographen die Einführung der Sonntagsruhe, da sie eine finanzielle Einbuße bedeuten konnte. Entsprechend fielen auch die Proteste aus: "Tausende und abermals Tausende von Portraitaufnahmen würden nicht gemacht und könnten nicht angefertigt werden, so es nicht des Sonntags geschehen würde ... Für viele sogen. kleine Leute und in abhängigen Verhältnissen lebenden Personen ist es wirklich positiv unmöglich, anders als Sonntags zum Photographen zu gehen um sich Abnehmen zu lassen ... Und so gäb es Tausend von Fällen, die für den Sonntag sprechen ... nehmen wir selbst freie Leute, z.B. einen Baumeister an, der sich und seine zahlreiche Familie als Gruppenbild aufgenommen haben möchte, ... es wäre eine Aufgabe, alle zusammen zu bringen ... Dagegen Sonntags sind Alle und ist Alles beieinander, es braucht nicht besondere Toilette gemacht und die Zeit gar nicht so ängstlich bemessen zu werden ... Schreiber dieses war in einem photogr. Geschäfte, in welchem an den Wochentage durchschnittlich 30-40 Aufnahmen, des Sonntags aber oft 80 bis 100 Aufnahmen und darunter 4-6 Gruppenbilder vorkamen; den Ausfall, so die Sonntagsruhe einträte, kann sich Jeder ohne Kreide berechnen:' 15) Die Sonntagsruhe wurde trotzdem gesetzlich geregelt, wenn auch grundsätzlich während bestimmter Zeiten Aufnahmen gestattet waren.

Bei Franz Xaver Simson dürfte es sich um ähnliche Probleme gehandelt haben. Die Masse der Kunden wird sonntags zum Photographieren erschienen sein.

Arbeitsanfall - Kundenkreis

Diese Annahme dürfte um so wahrscheinlicher sein, da ein großer Teil von Simsons Kundschaft nicht nur aus Rosenheim selbst, sondern auch aus der näheren und weiteren Umgebung gekommen ist. Die bisherige Auswertung des Nachlasses von Franz Xaver Simson macht deutlich, daß sich das Einzugsgebiet auf den östlichen Bereich über Halfing, Eggstätt bis zum Chiemsee, im südlichen Bereich bis Kiefersfelden, weiter westlich bis Großholzhausen und Pang, nach Norden über Großkarolinenfeld bis Rott erstreckt haben muß. Nie zu Simsons festen Kunden haben die Bereiche Aibling und Wasserburg gehört. Mit verantwortlich dafür mag sein, daß der Kurort Bad Aibling wie auch Wasserburg bereits selbst renommierte Photographen hatten, ein Abwandern der Kundschaft nach Rosenheim also nicht nötig war 16).

Der Arbeitsanfall wird also an Wochentagen nicht so groß gewesen sein wie an Sonn- oder Feiertagen. Dies gab Zeit für Arbeiten, die neben dem eigentlichen Photographieren, dem Anfertigen des Portraits, noch zu erledigen waren. Die Platten mußten entwickelt, anschließend Positivbilder kopiert werden. Letzteres war eine mühselige Angelegenheit, da es noch keine entsprechenden Kopierapparate gab. Mit Hilfe von Gestellen wurden die in der Dunkelkammer bestückten Kopierrahmen dem Tages- und Sonnenlicht ausgesetzt und so Positivbilder gefertigt. Im Simson'schen Atelier hatte man zu diesem Zweck eine verglaste Altane, die dem Tageslicht ungehindert Einlaß bot.

Daneben wurden die Negativplatten aber auch sorgfältig retouchiert, da man dem Kunden selbstverständlich nur ein "schönes Portrait" verkaufen konnte. Und wo die Natur nicht selbst vorgesorgt hatte, mußte der Photograph eben nachhelfen. Vielfach gab es aber auch Probleme mit dem Photomaterial selbst. Erst in den 1880er Jahren wurden die ersten isochromatischen, d.h. für alle Farben empfindlichen Platten hergestellt; so war es häufig vorgekommen, daß die Photoplatte auf bestimmte Farben, wie rote Haare, blaue Augen nicht angesprochen hatte. Eine Retouche war notwendig. Auch im Plattenbestand von Franz Xaver Simson tauchen zahlreiche "verbesserte" Platten auf. Ebenso mußte den Sonderwünschen der Kunden Rechnung getragen werden. Wollte ein Kunde beispielsweise ein Winterportrait im Studio anfertigen lassen, war Retouchieren zur Darstellung von Schnee unumgänglich. Auch hier haben sich Beispiele aus Simsons Arbeit erhalten.

Arbeitsverhältnisse und Gehilfenprobleme

Die vielfältigen zu erledigenden Arbeiten konnte der Photograph meist nicht allein tätigen. Wenn der Geschäftsumfang eine bestimmte Grenze überschritten hatte, beschäftigte man zunächst einmal einen Lehrling - ein Recht, das Franz Xaver Simson 1909 erhielt. Diesem Lehrling übertrug man all die Arbeiten, die sich schnell und einfach erlernen ließen, und die der Photograph selbst sowieso ungern tat: Öfen heizen, Wasser holen, Fußböden reinigen, Platten putzen und Bilder fixieren. Bis zur Jahrhundertwende kann von einer systematischen Fachausbildung tür Lehrlinge nicht gesprochen werden. Da alle wichtigen Arbeiten, vor allem das Photographieren selbst, vom Chef eines Unternehmens ausgeführt wurde - was der Kunde natürlich auch erwartete - wurden Lehrlinge nur selten in die entscheidenden Arbeitsvorgänge eingeweiht. Wie Franz Xaver Simson die Ausbildung seiner Lehrlinge gehandhabt hat, kann nicht mehr rekonstruiert werden. Schriftliche Unterlagen liegen nicht vor, auch Erinnerungen von Zeitzeugen lassen hier keine Klarheit aufkommen.

Anmerkungen

9) Aus: Hoerner, Ludwig: Das Photographische Gewerbe in Deutschland 1839 bis 1914, S. 36 f.
10) Magistratsbeschluß v. 06.08.1909.StadtA Ro, Protokolle B/C 345
11) StadtA Ro, Akten I A 3, 117
12) StadtA Ro, Akten Fasz. 1019/20
13) Aus: Hoerner,: S. 58
14) Rosenheimer Anzeiger Nr. 90 vom 20.04.1895
15) Aus: Hoerner,: S. 39
16) StadtA Ro, Akten VI P 3, 50