Vom Salonorchester zur SA-Kapelle

Ein mit dem Jahr 1932 datiertes Foto1) zeigt die fünfköpfige Tanzkapelle „Bauernfeind" in der Tanzschule „Baluka". Die Band spielte dort nur drei Wintersaisonen bis 1934 und löste sich dann auf. Die Besetzung mit Trompete, Saxophon, Schlagzeug, Klavier und Banjo läßt auf eine für die damalige Zeit jazzmäßige Musik schließen. Wie der Pianist der Gruppe, Hanns Schmid, bestätigte, spielte die Kapelle zwar keinen Jazz, aber immerhin moderne Tanzmusik, also Tango, Onestep, Charleston und ähnliches.2) Schmid ist heute besser bekannt unter unter dem Namen Hans Melchior Brugk. Der Rosenheimer Komponist hatte hier 1929 sein Abitur geschrieben und studierte damals in München gerade Kunsterziehung, von 1935 bis 1938 dann Kompositionslehre und Dirigieren. Brugk zog danach ins Fränkische und kehrte erst wieder nach dem Krieg aus russischer Gefangenschaft nach Rosenheim zurück.3) Zu seinem Schaffen im Rosenheim der dreißiger Jahre gehören unter anderem Vertonungen von Gedichten Maria Berchtenbreiters (1935) und „Drei Abschiedslieder" (1936 -1940).4)
Daß der „Bauernfeind" unter den NS-Machthabern nicht lange Bestand hatte,5) wird durch eine Zeitungsnotiz verständlich, die über damals erlaubte Tänze berichtet und in der es unter anderem heißt: „Durch diese neu geschaffenen Tanzformen sollen der Foxtrott, der Onestep und der Tango von der Bildfläche verdrängt werden."6)
Ab 1933 wurde die Musik zum großen Teil auch in den Dienst der NS-Propaganda gestellt. So bot zum Beispiel der „Tag von Potsdam" am 21. März 1933, an dem der Reichstag zum ersten Mal zusammentrat, Anlaß für verschiedene Feierlichkeiten. An der Oberrealschule sang die Schülerschaft, „am Flügel begleitet von Herrn Studienassessor Simson, das Lied ,Der Gott der Eisen wachsen ließ' [...]", am Humanistischen Gymnasium wurde der Festakt mit Glucks Ouvertüre „Iphigenie" eingeleitet. Am gleichen Tag war im Rosenheimer Anzeiger der Wortlaut des „Horst-Wessel-Liedes" abgedruckt.7)
Im Zuge der Auflösung der Gewerkschaftsvereine wurde am 5. April 1933 durch den SA-Sonderkommissar Dr. Holper der Arbeiterliederkranz verboten, das Vereinslokal im Gasthaus Sterngarten durchsucht und das Inventar beschlagnahmt. Der erste Vorsitzende des Arbeiterliederkranzes, Korbinian Blaser, mußte die Beschlagnahme auch noch quittieren.8)
Ein freies, zwangloses Musizieren in der Öffentlichkeit war kaum mehr möglich. Für Berufsmusiker war die Mitgliedschaft in der Reichsmusikkammer zwingend, Amateure benötigten für ihre Darbietungen sogenannte Tagesscheine.9) Zum Ortsgruppenleiter der Reichsmusikkammer wurde am 5. April 1934 Hans Kirsch bestellt.10)
In den Vordergrund des Rosenheimer Musikgeschehens rückten nun auch Veranstaltungen der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude (KdF), die vor allem während des Krieges auch als moralische Aufputschmittel dienten. So schrieb die Rosenheimer Autorin Maria Berchtenbreiter über ein erstes „musikalisch-buntes Wochenende" der KdF: „[...] denn auch im Krieg dürfen die Musen nicht schweigen. Es wäre ganz verkehrt, nun etwa kopfhängerisch daheim zu sitzen oder gar die Verdunklung zu scheuen. Und wenn es auch zuweilen ein bißchen Stolpern gibt, den guten alten Hofbräusaal wird jeder Rosenheimer doch noch finden."11)
Anhand von drei Beispielen sei ein Einbück in das Konzertangebot gegeben. Am 28. März 1944 veranstaltete die KdF im Rathaussaal einen Klavierabend mit der Münchner Pianistin Friederike Bucher, die Kompositionen von Bach, Beethoven, Schubert, Brahms und Schumann spielte,12)eine konventionelle Zusammenstellung, wie sie für klassische Konzertveranstaltungen damals üblich war. Aber es gab auch Abweichungen - sogar in Rosenheim. Das folgende Beispiel dürfte um so interessanter sein, als der Veranstalter wiederum die KdF war. Im Hofbräusaal interpretierte am 26. Januar 1943 der ungarische Meistergeiger Sandor Vegh neben Werken von Bach und Beethoven auch Stücke von Liszt, Kodály, Veress, Dohnányi, Takacs und Bartók.13)
Das Verbot der „Feindstaatenmusik" und die Ablehnung der Moderne hatte das Konzertrepertoire in Deutschland mit Beginn des Krieges schnell verarmen lassen.14) Ausnahmen waren „[...] aus dem verbündeten Ungarn Dohnányi, Kodály, János Viski und sogar Bar-tók, der sich inzwischen [1940] in die USA abgesetzt [...]" hatte.15) Dagegen meint Hans Melchior Brugk:"[...] zur Zeit des NS-Regimes, da hat es in den Konzerten weder einen Bartók [...] noch einen Hindemith gegeben."16)
Andere Veranstaltungen im Hofbräusaal schienen besser in das Konzept der braunen Machthaber zu passen. So zum Beispiel ein „Bunter Abend" der Feldgrauen Künstler mit dem Unterhaltungsorchester Walter Schacht am 1. November 1941 17) oder ein „Meister-Abend" mit dem Tenor Anton Flieger und dem NS-freundlichen Komponisten Hans Pfitzner am Klavier.18)
Typisch für die Zeit waren auch die unzähligen Aufmärsche verschiedenster NS-Gruppierungen mit genau festgelegtem, oft stereotypem Musikprogramm. Zwei Beispiele seien herausgegriffen: Im Aufmarschbefehl für den Kreistag am 9. Mai 1937 waren für den Musikzug der Standarte J2 unter anderem der „Präsentiermarsch", „Ich hatt' einen Kameraden", das „Deutschlandlied" und das „Horst-Wessel-Lied" befohlen.19)
Zu den Veranstaltungen des 30. Januar 1943, des zehnten Jahrestages der Machtergreifung, erging ein Sonderbefehl20) an die HJ und den BdM. Im Hofbräusaal mußten dabei folgende Lieder gesungen werden: „Märkische Heide", „Es zittern die morschen Knochen", „Es pfeift von allen Dächern", „Brüder . in Zechen und Gruben" und „Als die goldne Abendsonne...". Beim Appell der HJ standen neben den Signalen des Fanfarenzuges die Lieder „Siehst du im Osten..." und „Vorwärts, vorwärts..." auf dem Programm. Für das Platzkonzert auf dem Max-Josefs-Platz mit den Spieleinheiten „Schill" und dem HJ-Spielmannszug erfolgte die Anweisung: „Bei den Kampfliedern ist kräftig mitzusingen."
In dieser ersten Skizze konnten nur die groben Umrisse des Musiklebens in Rosenheim zur Zeit des Dritten Reichs nachgezeichnet werden. Viele Fragen müssen nach dem bisherigen Kenntnisstand noch offen bleiben. Gab es in Rosenheim musikalische Gruppen, die sich von den NS-Richtlinien nicht beeindrucken ließen, davon distanzierten? Wie stand es mit der Volksmusik? Auch die Rolle der Kirchenmusik wäre noch zu untersuchen.

Richard Prechtl

Anmerkungen:

1) StARo, Bildkartei.
2) Gespräch mit Hans Melchior Brugk am 10. 2.1989.
3) StARo, Benutzerakt Hans Melchior Brugk.
4) MESSMER, Franzpeter, WEISS, Günther: Hans Melchior Brugk. (Komponisten in Bayern 7), Tutzing 1984, hier S. 70 f, 111.
5) Etwa bis 1934, ein genaues Datum konnte nicht ermittelt werden. 6)RTW vom 9./10.8.1933.
7) RA vom 21. 3.1933
8) StAM, LRA 55411.
9) StAM, NSDAP 261.
10) StAM, AA Rosenheim 1224. StAM, LRA 56940.
11) RA vom 16.10.1939.
12) StARo, Benutzerakt Nationalsozialismus I, Programmzettel.
13) Ebenda.
14) PRIEBERG, Fred K.: Musik im NS-Staat. Frankfurt a. M. 1982, S. 374.
15) Ebenda.
16) MESSMER, WEISS, Hans Melchior Brugk, S. 27.
17) StARo, Benutzerakt Nationalsozialismus I, Programmzettel.
18) Ebenda, ohne Jahresangabe.
19) StAM, NSDAP 96.
20) StAM, NSDAP 553.