Kinobetrieb in Rosenheim

Zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft gab es in Rosenheim zwei Kinos, das seit Februar 1912 in der Prinzregentenstraße 3 bestehende „Helios" im Hotel „Deutscher Kaiser", später „Deutscher Kaiser-Lichtspiele" genannt, sowie die in der Königstraße 7a gelegenen „Kammerlichtspiele". Die Geschichte der Rosenheimer Kinoszene vermag zu illustrieren, wie sehr auch das Filmwesen ab 1933 dem staatlichen Aufsichts- und Zensursystem unterstellt wurde, war es doch ein wichtiges Medium zur Verbreitung nationalsozialistischer Ideologie geworden.
Der Film spielte im Nationalsozialismus mehrfach eine wichtige Rolle. Einmal als Propagandainstrument durch die Vorführung ideologisch einschlägig ausgerichteter Filme wie etwa, um nur einige zu nennen, „Hitlerjunge Quex", „SA-Mann Brand", „Schwarzhemden (Kampf und Sieg des Faschismus)", „Volldampf voraus", „Arbeit macht glücklich", dann durch die nationalsozialistisch linientreue Berichterstattung in den Wochenschauen, die im noch fernsehlosen Zeitalter eine zentrale Funktion als Informationszubringer einnahmen. Zum zweiten wurde der Kinofilm als Mittel der Unterhaltung eingesetzt, die in erster Linie das Publikum von den Problemen der Gegenwart ablenken sollte und dementsprechend meist seicht und ohne Tiefgang war. Filmkomödien waren das am meisten gepflegte Genre des deutschen Films während des Nationalsozialismus, und das Verlangen der Zuschauer nach Filmen dieser Art war, wie zeitgenössische Pressestimmen zeigen, schier unersättlich. Die hohe Zahl von Lustspiel-Produktionen erklärt sich freilich auch aus dem Umstand, daß in Filmen wie „So ein Flegel" (Titelrolle Heinz Rühmann), „Die Töchter Ihrer Excellenz" (Hauptdarsteller unter anderen Hans Moser und Willy Fritsch), „Annie und Annie" (Titelrollen Anny Ondra und Adolf Wohlbrück) für Drehbuchautoren, Regisseure und Schauspieler gleichermaßen noch am ehesten die Möglichkeit bestand, sich der nationalsozialistischen Ideologie fernzuhalten.1) Weiterhin gab es dann noch Edelschnulzen („Arme kleine Eva"), kitschige Liebesromanzen (beispielsweise „Liebeslied", „Unmögliche Liebe") und Heimatfilme („Der Sohn der weißen Berge"),2) die allesamt nicht minder dazu angetan waren, den Blick für die Realität zu vernebeln.
Jeder öffentlich gezeigte Film - also nicht nur Vorführungen in Lichtspieltheatern, sondern auch Filmveranstaltungen etwa von Pfarrgemeinden, die für Rosenheim mehrfach überliefert sind3) - mußte die Filmprüfstelle der Reichsfilmkammer passieren. Das Verfahren bei der Filmprüfung sowie die Gebühren für diese Prüfung4) wurden durch das Lichtspielgesetz vom 16. Februar 1934 festgelegt.5) Da, wie man betonte, „künftig ein strengerer Maßstab bei der Prüfung angelegt" werden sollte, ließ man kraft dieser Verordnung nunmehr auch Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren generell zum Kinobesuch zu, lediglich für Jugendliche unter 16 war die Begleitung durch Erziehungsberechtigte vorgeschrieben: Eine Neuerung, die auf höchst positives Echo in der Filmbranche stieß, erwartete man sich doch einen erheblichen Besucherzuwachs. Nicht anders als die Filme selbst unterlagen die Kinobesitzer und die Filmvorführer der staatlichen Aufsicht und Überwachung. Jeder Filmvorführer hatte Mitglied der Reichsfilmkammer Fachgruppe Filmtheater zu sein. Das Rosenheimer Beispiel erweist, daß diese Mitgliedschaft durchaus nicht als bloße Formalität gehandelt wurde. Betroffen war die Besitzerin der „Kammerlichtspiele", Sophie Brunner, die nach insgesamt zwölfjähriger Leitung des Kinos 1936 gezwungen wurde, ihren Betrieb aufzugeben, da ihr die beantragte Aufnahme in die Reichsfilmkammer verwehrt worden war. Vorgeschoben wurde als Grund für die Ablehnung6) unter anderem, daß Frau Brunner in gesetzwidriger Weise einen Vierzehnjährigen im Kino beschäftigt habe, der wahre Grund freilich war, wie aus Sophie Brunners 1946 erfolgtem Gesuch7) um erneute Inbetriebnahme der „Kammerlichtspiele" hervorgeht, daß sie sich der Mitgliedschaft bei der NSDAP verweigert hatte. Die Leitung der „Kammerlichtspiele" lag vom 1. Februar 1937 bis zum April 1938 in Händen von Alois Brunner, der schon seit 1932 Geschäftsführer dieses Kinos war und Sophie Thalhammer 1936 geheiratet hatte.8) Er wurde kraft eines Schreibens des Präsidenten der Reichsfilmkammer am 28. April 1937 in die Reichsfilmkammer aufgenommen mit der Auflage, eine Erklärung abzugeben, daß seine „Ehefrau sich in keiner wie auch immer gearteten Weise in dem Filmtheater betätigt."9) Mit Einschreiben vom 11. April 1938 wurde Alois Brunner freilich wieder aus der Reichsfilmkammer ausgeschlossen.10) Als Begründung wurde angeführt, daß seine Frau trotz Verbots weiterhin maßgeblich an der Leitung des Kinos unter anderem in Bezug auf Filmdisposition und Verleihverhandlungen beteiligt gewesen sei.
Neue Pächterin der „Kammerlichtspiele" wurde vom 23. August 1938 an Frau Emilie Gnegel, die den Geschäftsbetrieb dem Münchner Rudolf Röhrle übergab, der, wie es heißt, bereits seit 35 Jahren in der Kinobranche tätig war.11) Schon zwei Tage später wurde die Spielerlaubnis erteilt, da „im Interesse der deutschen Filmwirtschaft der Geschäftsbetrieb der ,Kammerlicht-spiele' auch nicht einen Tag stilliegen soll."12)
Mit Wirkung vom 20. April 1943 ließ Frau Gnegel Friedrich Praunsmändtl und dessen Ehefrau Teilhaber an den „Kammerlichtspielen" werden,13) ein Vertrag, der am 23. Oktober 1945 gelöscht wurde.14) Für Friedrich Praunsmändtl ist überliefert, daß er seit dem 1. November 1932 NSDAP-Mitglied war.15)
Das zweite Rosenheimer Kino, die „Deutscher Kaiser-Lichtspiele", befanden sich seit 1928 in Besitz von Alois Bach.16) Nach seinem Tod 1939 übergab die Ehefrau Therese das Kino 1940 an Heimine Mittl, geborene Bach.17) Alois Bach zeigt sich in seinen wiederholten Schreiben bezüglich der Diskussion um ein drittes Kino in Rosenheim -wobei er in Wahrung seines Geschäftsinteresses natürlich eine ablehnende Position einnimmt - als recht linientreuer und eifriger Parteigänger. Nicht ohne Stolz weist er darauf hin, daß „unser Unternehmen [...] während der Kampfzeit der nationalsozialistischen Bewegung der NSDAP wiederholt ohne Rücksichten auf die Boykottierung durch bestimmte Kreise den Theatersaal zur Verfügung gestellt [...]" hat, „zu einer Zeit, wo andere Saalbesitzer sich weigerten, ihre Räumlichkeiten der NSDAP zu überlassen."18) Bach folgert hieraus, daß „wir [...] damit auch einen bestimmten Teil zum Erfolge des Kampfes der Bewegung beigetragen [haben]". Aus dieser heftigen Kontroverse gehen konkrete Zahlen über den Kinobesuch im Jahr 1935 hervor. Nach einer in einem Schreiben von Alois Bach angeführten Aufstellung lagen beide Rosenheimer Kinos annähernd gleichauf, bei leichtem Vorsprung der „Deutscher Kaiser-Lichtspiele", die 1935 auf 112872 gegenüber 105350 Besuchern der „Kammerlichtspiele" zurückblicken konnten.19) Die Sommermonate Juni bis September erwiesen sich dabei als besucherschwächste Zeit. Vorführungen der Wochentage waren mit rund 15% Belegung schlechter besucht als die Wochenendvorstellungen, wo die Platzkapazität im Schnitt zu 30% ausgelastet war.20) Bach führte diese Zahlen an, um den Beweis für die Unnötigkeit der Errichtung eines weiteren Kinos in Rosenheim zu erbringen. Trotz der am 14. Mai 1935 eingereichten und am 25. September vom Stadtbauamt baupolizeilich mit geringfügigen Einschränkungen genehmigten konkreten Baupläne21) für ein 1000 Sitzplätze umfassendes Kino zwischen Nikolai- und Rue-dorfferstraße und trotz Befürwortung durch die Stadt,22)die insbesondere aufgrund der in Brannenburg und Rosenheim für mehrere tausend Soldaten neu zu errichtenden Kasernen von einer verstärkten Kinonachfrage ausging, wurde die Sache in Bachs Sinn entschieden. Die Neuerrichtungssperre für Kinos, die, wie aus einer Anfrage des Bezirksleiters der Reichsfilmkammer Bezirk Bayern bezüglich des Bedarfs eines von Dr. Hartl bei der Reichsfilmkammer beantragten Kinoneubaus hervorgeht,23) 1936 bestand, wurde im Rosenheimer Fall wirksam.
Ein drittes Kino wurde in Rosenheim erst mit der Eröffnung des Roxy-Filmtheaters am Roßacker am 12. April 1949 in Betrieb genommen.

Claudia Willibald

Anmerkungen:

1) Amerikanische Filmkomödien, allen voran die geistreich-witzigen Produktionen des emigrierten Juden Ernst Lubitsch kamen natürlich auf die Verbotsliste. Lubitschs „Design for Living" etwa beschlagnahmte die Filmprüfstelle laut Vermerk in: Licht Bild Bühne. Illustrierte Tageszeitung des Films vom 10. 3.1934.
2) Mit Ausnahme der genannten Lustspiele handelte es sich bei den angeführten Titeln um Filme, die auf jener insgesamt 60 Produktionen umfassenden Liste von Filmen standen, die, wie im Staatsanzeiger Nr. 70 vom 25./26. März 1934 bekanntgegeben, auch am Karfreitag, am Bußtag und am Heldengedenktag gezeigt werden durften.
3) Rührig war insbesondere die St. Nikolaus Pfarrgemeinde. Hier organisierte mehrfach Dekan Josef Bernrieder im Saal des katholischen Gesellenhauses stattfindende Filmabende, so etwa am 14. und 27. Januar 1935 die Vorführung der Filme „Fabiola (Martyrium des hl. Sebastian und der hl. Agnes)" und „Die Entstehung der Alpen" sowie am 10. März 1935 des Films „INRI (Jesus Nazarenus Rex Judaeorum)". StARo, Altregistratur VI J 2 - 82.
4) Die Gebühren betrugen 0,10 RM pro laufenden Meter bei Spiel- und Werbefilmen, bei Kulturfilmen 0,05 RM, bei Filmen über Tagesereignisse und bei Schmalfilmen 0,03 RM. Gebührenfrei war die Prüfung von als staatspolitisch wertvoll anerkannten Filmen oder solchen mit vorwiegend belehrendem Inhalt. Vgl. Licht Bild Bühne. Illustrierte Tageszeitung des Films vom 10. 3.1934.
5) RGBL 1934, Teil I, S. 95.
6) StARo, Altregistratur VI J 2 - 56 II.
7) StARo, Altregistratur VI J 2 - 56 III.
8) StARo, Altregistratur VI J 2 - 56 II.
9) Ebenda.
10) Ebenda.
11) StARo, Altregistratur VI J 2 - 88.
12) Ebenda.
13) Ebenda.
14) Ebenda.
15) Ebenda.
16) StARo, Altregistratur VI J 2 - 36.
17) Ebenda.
18) StARo, Altregistratur VI J 2 - 81.
19) Ebenda. Auch für die Zeit vom 1.1. bis zum 31.10.1936 existiert eine Aufstellung über den Kinobesuch. Verzeichnet wurden in diesem Zeitraum 120 395 Besucher bei den „Deutscher Kaiser-Lichtspielen",
92 615 bei den „Kammerlichtspielen".
20) Einige Beschwerdefälle in den Rosenheimer Akten zeigen, daß es an Wochenenden durchaus auch Tage gab, die anstoßerregende Überfüllung der Kinos brachten. So wurde beispielsweise Hermine Mittl von einem erbosten Rosenheimer Bürger angezeigt, daß sie in der Vorstellung vom 15. 9. 1940 - wie angeblich auch viele Male vorher - zwecks Aufstockung der Platzkapazität Stühle auf den Gängen aufstellen ließ, wodurch die Sicherheit der Besucher, insbesondere im Fall eines Fliegeralarms, nicht mehr garantiert wäre. StARo, Altregistratur VI J 2 - 36.
21) StARo, Altregistratur VI J 2 - 81.
22) Ebenda.
23) Ebenda.