Einleitung

Die hier veröffentlichten Aufsätze bilden zusammen mit der gleichnamigen Ausstellung „Rosenheim im Dritten Reich" den ersten wissenschaftlichen Ansatz zur Beschäftigung mit der Geschichte Rosenheims zwischen 1933 und 1945.
Das Projekt versteht sich nicht als Beitrag zur vielbeschworenen „Vergangenheitsbewältigung" im Sinne eines endgültigen Schlußstrichs. Vielmehr soll den Lesern wie auch den Besuchern der Ausstellung die Möglichkeit geboten werden, sich am Beispiel des eigenen Lebensraumes zu informieren über kollektive Verirrung, über die Folgen rassistisch-nationalistischen Machtanspruchs, über die Art und Weise, wie Minderheiten und tatsächliche oder vermeintliche Gegner verfolgt, diskriminiert und ermordet wurden, und wie ein totalitäres Regime jeden Bereich des Lebens prägte, kontrollierte und veränderte.
Es geht keineswegs darum, jemanden als Nationalsozialisten zu diffamieren, nur weil er Parteimitglied war. Andererseits soll aber die pauschale Entschuldigung in Frage gestellt werden, man habe von nichts gewußt, oder man habe mitmachen müssen, weil der Druck so groß gewesen sei. Niemand hat beispielsweise gutsituierte Bürger bereits lange vor dem Novemberpogrom 1938 dazu gezwungen, vor jüdischen Geschäften zu randalieren. Ein Schuldirektor unterzeichnete ab 1933 die Jahresberichte seiner Anstalt mit dem Zusatz „Heil Hitler", ein anderer weiterhin nur mit seinem Namen. Genauso war Denunziation immer eine freie Willensentscheidung jedes Einzelnen. Andererseits bestanden unleugbar Zwänge, Gliederungen der NSDAP wie der DAF, der NSBO, der HJ oder dem BdM beizutreten.
Über das im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus stets sensibel zu handhabende Problem der Nennung von Namen waren sich Herausgeber, Redaktion und Autoren darüber einig, daß Namen genannt werden, wenn diese in einem zeittypischen, konkreten Zusammenhang von Bedeutung sind. Das gleiche Prinzip gilt auch für die Veröffentlichung von Bildern.
Da Vorstudien völlig fehlten, war es zunächst notwendig, schrittweise Quellen zu erschließen. Dieser Arbeitsgang erwies sich bald als so ertragreich, daß eine strikte Begrenzung des näher untersuchten Materials erforderlich wurde. Die Themeninteressen der Autoren standen dabei im Vordergrund. Trotzdem wurde eine so große Menge an Akten und Dokumenten gesichtet und erschlossen, daß sie bei vollständiger Bearbeitung sowohl den Rahmen des Katalogs gesprengt, als auch das Arbeitsvermögen der Autoren überstiegen hätte.
Wenn es den folgenden Untersuchungen gelingt, Interesse zu wek-ken, bewußtseinsbildend zu wirken, konstruktiven Widerspruch zu erregen und dadurch den Erkenntnisstand zur Rosenheimer Zeitgeschichte voranzutreiben, so hat der Band seine Aufgabe erfüllt. Die Auswahl und Darstellung der einzelnen Themen kann im vorgegebenen Rahmen keineswegs erschöpfend sein. Die bei der gewählten exemplarischen Vorgehensweise weiter offen bleibenden Fragen sehen wir als eine Anregung zu künftiger intensiver Beschäftigung gerade auch mit den jüngeren Kapiteln der Vergangenheit unserer Stadt.
Unentbehrliche Grundlagen dafür wurden durch die vorbereitenden Arbeiten zu Ausstellung und Katalog geschaffen. Ebenso konnte das Argument „Dazu gibt es ja sowieso kein Material" widerlegt werden. Als Beispiel dafür seien nur die Akten genannt, die bei Spruchkammerverfahren im Zuge der Entnazifizierung angefallen sind, und die im Amtsgericht Rosenheim lagern. Deren systematische Auswertung verspricht sicher noch neue Informationen und interessante Details.
Um weiter differenzierte Aussagen über „Rosenheim im Dritten Reich" treffen zu können, müssen in Zukunft noch die Bestände des Bundesarchivs Koblenz, des Berlin Document Center und des Instituts für Zeitgeschichte, München, möglicherweise auch der Library of Congress, Washington, ausgewertet werden. Weitere Nachforschungen erfordern auch die Bestände im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, München, im Staatsarchiv München, in örtlichen Pfarrarchiven, in den Beständen des Arbeitsamts und des Landratsamts Rosenheim sowie, soweit vorhanden und zugänglich, in privaten Nachlässen. Wertvolle Aufschlüsse wird mit Sicherheit auch die geplante Befragung von Zeitzeugen erbringen. Als verschollen müssen dagegen zwei Schlüsselquellen gelten, die Archive der Ortsgruppe und der Kreisleitung Rosenheim der NSDAP. Sehr wünschenswert und verdienstvoll wäre auch eine systematische Auswertung der betreffenden Jahrgänge der Lokalzeitungen Rosenheimer Anzeiger und Rosenheimer Tagblatt Wendelstein.
Darauf aufbauend könnten dann Fragen nach Widerstand und Resistenz, nach Anpassung, Mitläufer-tum und Fanatismus umfassender untersucht werden. Ebenso wären die Veränderungen im Alltagsleben und in der Versorgungslage der Bevölkerung genauer nachzuzeichnen. Darüber hinaus könnte auf den verschärften Arbeitsalltag, auf den Arbeitseinsatz von Frauen und die Lage der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen eingegangen werden. Die Schicksale von in Konzentrationslager Deportierten, von Schutzhäftlingen und von Soldaten verdienten ebenso eingehende Studien wie das eine ganze Generation prägende Erlebnis von HJ und BdM.
Großes Entgegenkommen und jede mögliche Hilfe erfuhren wir bei unserer Arbeit vom Bayerischen Hauptstaatsarchiv, vom Staatsarchiv München, von der Generalstaatsanwaltschaft München, vom Haus der Bayerischen Geschichte, vom Stadtarchiv München, vom Bundesarchiv Freiburg (Militärarchiv), vom Arbeitsamt, vom Amtsgericht und vom Landratsamt Rosenheim sowie vom BMW-Archiv München, das die Ausstellung durch Leihgaben bereicherte. Zahlreiche Exponate und Fotografien stellte uns Dr. Albert Aschl zur Verfügung, wertvolle Farbdias erhielten wir von Manfred Lenz.
Allen Leihgebern und Vertretern der genannten Archive und Behörden möchten wir an dieser Stelle nochmals für ihre Unterstützung danken.

Walter Leicht / Peter Miesbeck