Die nationalsozialistische Machteroberung

Nach der legalen Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch Reichspräsident von Hindenburg am 30. Januar 1933 begann der erst mit der neuen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 abgeschlossene Kampf der Nationalsozialisten um die alleinige Macht. Unter dem Deckmantel eines „Neuaufbaus des Reiches" wurden auf Reichs-, Länder- und Gemeindeebene durch Gesetze und Verordnungen, durch Rechtsbruch und Terror die politischen Gegner ausgeschaltet und zunehmend alle Kompetenzen im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung geregelt oder direkt Parteistellen übertragen.1) Im folgenden soll am Beispiel Rosenheims der Kampf der Nationalsozialisten gegen die Oppositionsparteien SPD, BVP und KPD, die schrittweise Gleich- und spätere Ausschaltung des Stadtrats sowie die Besetzung der NSDAP-Fraktion und der Bürgermeisterposten mit linientreuen Parteigenossen geschildert werden.

Die Entwicklung bis Ende März 1933

Am 1. Februar 1933 protestierte ein aus Anhängern von SPD und KPD bestehender, 150 Mann starker Demonstrationszug, der sich, von der Innstraße kommend, durch die Innenstadt bis zum Ludwigsplatz bewegte, gegen die Machtauslieferung an Hitler. Am Ludwigsplatz wurden die Demonstranten von der Polizei ohne Zwischenfall zerstreut.2) Als am 6. Februar die Ortsgruppe der NSDAP zusammen mit SA und SS im Auerbräukeller am Roßacker eine Siegesfeier abhielt, lag eine explosive Stimmung über der Stadt. Neben Anhängern der neuen Regierung säumten am Abend das sozialdemokratische Reichsbanner und Kommunisten den Max-Josefs-Platz, wohin ein Umzug der Nationalsozialisten führen sollte. Nachdem auf dem Weg zum Sammelplatz seiner Einheit der SS-Führer Erich Sparmann in der Riederstraße durch einen Messerstich leicht verletzt worden war, reagierte die SA auf verbale Provokationen durch oppositionelle Zuschauer mit einem Sturm in die Menge. Unterstützt von Polizei und Gendarmerie, räumte sie den Platz, die ganze Nacht über patrouillierten anschließend staatliche Sicherheitsorgane und Mitglieder dieser Terrororganisation durch die Straßen.3) Am Vormittag des 8. Februar kam es noch einmal zu einer Schlägerei zwischen Nationalsozialisten und ihren Gegnern vor dem Arbeitsamt am Angerweg, wo Erwerbslose auf die Auszahlung ihrer Unterstützung warteten.4)
Wohl mitbedingt durch die seit Anfang März auch in Rosenheim einsetzenden Schutzhaftmaßnahmen,5) verliefen die Wochen vor der Reichstagswahl dann wieder ruhiger. Am 5. März erreichte die NSDAP in Rosenheim 36,2%, die BVP 32,4%, die SPD erzielte 19,0%, und selbst die am stärksten verfolgte KPD kam noch auf 7,8%. Die NSDAP blieb bei dieser Wahl in Rosenheim unter ihren Ergebnissen in allen bayerischen Vergleichsgrößen, während SPD und vor allem BVP darüber lagen.6)
Am 9. März hatte Reichsinnenminister Frick General von Epp als Reichskommissar die vollziehende Gewalt in Bayern übertragen, am 10. April wurde Epp zum Reichsstatthalter ernannt. In der Absicht, die Gleichschaltung Bayerns als des letzten nicht von einer nationalsozialistischen Regierung geführten Landes voranzutreiben und um
den Weg zur Regierungsgewalt zumindest in den Ländern als eine revolutionäre Machtergreifung von unten zu inszenieren, kam es am Abend dieses 8. März in zahlreichen bayerischen Städten zur - nach einem gleichförmigen Muster ablaufenden - Flaggenhissung auf dem Rathaus. In Rosenheim marschierten unter der Führung von Ortsgruppenleiter Dr. Erich Holper, SS-Führer Sparmann und SA-Führer Dr. Reiter 400 Uniformierte zunächst zum Bezirksamt in der Königstraße, wo sie die Haken-kreuzfahne hißten. Anschließend ging der Zug zum gegenüberliegenden Rathaus, wo Bürgermeister Dr. Hans Knorr unter Verweis auf die Rechtslage förmlich protestierte, dem Druck der paramilitärischen Naziverbände aber schließlich nachgab. Auch über dem Rosenheimer Rathaus wehte jetzt das Hakenkreuz.7)
Andernorts wurde die Fahne der NS-Bewegung, die erst 1935 die schwarz-weiß-rote Trikolore als alleinige Reichsflagge ablöste, freiwillig aufgezogen. An der Oberrealschule geschah dies am 13. März auf Initiative von Oberstudiendirektor Woerl, der sich bei dieser Gelegenheit freudig zum Nationalsozialismus bekannte. Woerl hatte Ortsgruppenleiter Dr. Holper den Rahmen einer Schulfeier geboten, um seinen Schülern die neuen Machtverhältnisse zu demonstrieren.8)

Die Gleichschaltung des Stadtrats

Unter dem Aspekt des totalitären Einheitsstaates mußte die Zentralgewalt der Reichsregierung gegenüber Ländern und Gemeinden gestärkt werden. Dazu diente das „Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich" vom 31. März 1933, das die Länderregierungen von ihren Parlamenten praktisch unabhängig machte. Die Landtage wurden jetzt nach dem Ergebnis der Reichstagswahl vom 5. März neu zusammengesetzt, wobei die Sitze der KPD annulliert wurden. Desgleichen wurden die gemeindlichen Selbstverwaltungskörper aufgelöst und nach diesem Gesetz neu gebildet. Der auf zwanzig Sitze verkleinerte Rosenheimer Stadtrat setzte sich nach seiner Neubildung am 22. April 1933 nunmehr aus neun Stadträten der NSDAP, sieben der BVP und vier der SPD zusammen.9) Nach dem Stimmenverhältnis vom 5. März wären der NSDAP und der BVP je acht Sitze zugefallen. Die NSDAP ging daher mit der deutschnationalen „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot", der kein Sitz zugestanden hätte, eine Listenverbindung ein, und kam so auf die notwendigen Prozentanteile, um auf Kosten der BVP stärkste Fraktion im gleichgeschalteten Stadtrat zu werden.10)

Der Kampf gegen die SPD

Die Stadträte der Bürgerlichen Wirtschaftsvereinigung, einer kommunalpolitischen Listenverbindung aller bürgerlichen Parteien in Rosenheim, und nach der Gleichschaltung die Vertreter der BVP, setzten zunächst noch auf eine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten. Für die Sozialdemokraten dagegen konnte es seit der am 28. Februar, dem Tag nach dem Reichstagsbrand, erlassenen „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat"11) keine Zweifel mehr darüber geben, welchen Kurs die neuen Machthaber gegen sie verfolgen würden. Diese Verordnung hob durch ihre willkürlich interpretierbare Außerkraftsetzung der Grundrechte den Rechtsstaat auf und bildete die wichtigste scheinlegale Grundlage für die Herrschaft der Nationalsozialisten. Den ersten Schlag gegen die SPD führte die Rosenheimer Schutzmannschaft zusammen mit dem SA-Sonderkommissar Dr. Holper am 12. März durch, als sie das Gasthaus Pernlohnerkeller am Roßacker durchsuchte. Hier hatten sich bisher die republikanischen Selbstschutzorganisationen des Reichsbanners und der Eisernen Front versammelt. Die Suche nach Uniformen, Waffen oder Geld blieb ergebnislos, lediglich siebzig rote Fahnen mit den drei Pfeilen der Eisernen Front wurden beschlagnahmt.12)Ähnliche Aktionen wurden im Frühjahr 1933 gegen alle Organisationen, Vereine, Verbände und Institutionen durchgeführt, die der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung nahestanden.
Obwohl die SPD-Fraktion bis Ende Juni noch zu jeder Stadtratssitzung formal korrekt geladen wurde, waren ihre vier Mitglieder im gleichgeschalteten Stadtrat nur noch zweimal anwesend, am 26. April und am 4. Mai. Bereits der Sitzung am 23. März waren die Sozialdemokraten ferngeblieben. An diesem Tag beschloß der Stadtrat einstimmig, dem in Rosenheim geborenen Hermann Göring das Ehrenbürgerrecht zu verleihen. Es war dies noch der. 1929 gewählte Stadtrat, in dem nur zwei Nationalsozialisten und zwei ihrer Sympathisanten saßen, die Verleihung der Ehrenbürgerschaft wäre somit gegen die achtzehn Stimmen der Bürgerlichen Wirtschaftsvereinigung nicht möglich gewesen.13) Im übrigen ist dieser 23. März 1933 ein besonderes Datum in der Geschichte des Rosenheimer Stadtrats, wurden doch seitdem bis 1945 sämtliche Beschlüsse in den Ausschüssen und im Plenum einstimmig gefaßt.
Am 26. April stimmten die SPD-Stadträte mit der BVP für den Antrag der NSDAP, als Nachfolger für den zwei Tage zuvor zurückgetretenen zweiten Bürgermeister Theodor Gietl mit dem Geheimen Forstrat a. D. Dr. Oskar Fritz Metzger „eines der ältesten Mitglieder der NSDAP in Rosenheim" zu wählen.14)
In der Stadtratssitzung vom 4. Mai machte die BVP zusammen mit der NSDAP Front gegen die SPD. Bei der Verteilung der Ausschußsitze hatten sich beide Fraktionen vorher darauf geeinigt, diese unter sich auf-zuteilen und die SPD gänzlich auszuschließen. Auf die Beschwerde des SPD-Fraktionsführers Korn, der darin einen Verstoß gegen die Gemeindeordnung sah, erwiderte der nationalsozialistische Sprecher
Kern, man sehe sich nicht in der Lage, die SPD als den bisher schärfsten Gegner der nationalen Bewegung weiter Verantwortung tragen zu lassen. Der spätere Bürgermeister Zahler ergänzte, dieser Schritt sei zu sehen im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Marxismus bis zu dessen Vernichtung, den, so noch einmal Kern, die Betroffenen aber nicht persönlich nehmen sollten. BVP-Fraktionsführer Breitenhuber erklärte, seine Partei sei nicht daran interessiert, daß Sozialdemokraten in den Ausschüssen vertreten seien.15) Die SPD-Stadträte Albert Korn, Ludwig Winkler, Jose-pha Blaser und Ludwig Trä erklärten daraufhin in einem am gleichen Tag an den Stadtrat gerichteten Schreiben ihren Rücktritt.16) Am 11. Mai nahm die Kriminalpolizei im Auftrag des Stadtrats bei Johann Gandorfer, dem Vorsitzenden, und bei Kassier Andreas Schmaus Haussuchungen vor, um eventuell vorhandenes Parteivermögen zu beschlagnahmen. Die beiden erklärten dabei, daß Mitte März ein ehemaliger Landtagsabgeordneter aus München alle Listen, Belege und sonstiges Parteimaterial nach München mitgenommen habe. Sie selbst hätten ihre Ämter schon vor längerer Zeit niedergelegt und seien aus der Partei ausgetreten. Die Durchsuchungen blieben ergebnislos.17) Am 29. Mai teilte Albert Korn dem Stadtrat schriftlich mit, daß auch die sozialdemokratischen Ersatzleute ihre Sitze im Stadtrat nicht mehr einnehmen würden, „nachdem eine SPD in Rosenheim nicht mehr besteht."18) Am 28. Juni beschloß der Stadtrat mit den Stimmen der NSDAP, die SPD-Stadträte und ihre Ersatzleute ihres Amtes für verlustig zu erklären.19) Formale Rechtsgrundlage dafür waren die Artikel 112 Abs. 2 und 113 Abs. 3 der Bayerischen Gemeindeordnung von 1927 sowie die an Zynismus nicht zu überbietende Bekanntmachung des bayerischen Innenministers Adolf Wagner vom 17. Juni: „In den Kreisen der nationalen Bevölkerung löst es außergewöhnliche Erbitterung aus, daß sich Angehörige [der SPD] noch in den Vertretungen von Gemeinden befinden [...] und über das Wohl und Wehe von Teilen des deutschen Volkes mit bestimmen. Da die Auswirkungen dieser Erbitterung nicht zu übersehen sind, sind die sozialdemokratischen Mitglieder der Gemeinderäte, [...] soweit sie nicht ihr Amt selbst niederlegen, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit sowie zu ihrem eigenen persönlichen Schutz bis auf weiteres von den Sitzungen fernzuhalten."20) Am 15. April 1935 teilte Kreisleiter Heliel dem Rosenheimer Oberbürgermeister Zahler mit, daß keine der aufgelösten marxistischen Parteien unter einem neuen Namen illegal weitergeführt würde. „Viel gefährlicher erscheint uns die Tätigkeit der erlaubten klerikalen Verbände."21)

Der Kampf gegen die BVP

Neben ihrer Haltung vom 4. Mai unternahm die bürgerliche Stadtratsfraktion noch einen zweiten Versuch, durch demonstratives Wohlverhalten ihr politisches Überleben zu sichern. Ihr Vorsitzender Franz Breitenhuber brachte schon am 28. März den positiv aufgenommenen Antrag ein, General Franz von Epp, NSDAP-Mitglied seit 1923, die Ehrenbürgerschaft zu verleihen.22) Dabei mußte die BVP eine ihrer traditionellen Positionen verlassen, die seit 1918 stets wiederholte Forderung nach einer Wahrung der Eigenstaatlichkeit Bayerns, denn Epp symbolisierte als Reichskommissar und späterer Reichsstatthalter ja gerade die Zerschlagung der Landeshoheit durch die Berliner Zentralgewalt. Ende Juni 1933 löste sich die Ortsgruppe Rosenheim der BVP wegen zahlreicher Parteiaustritte auf, auch zwei Stadträte, darunter Breitenhuber, und ein Ersatzmann waren von ihren Ämtern zurückgetreten. Um den Auflösungsprozeß noch zu beschleunigen, waren um den 25. Juni die BVP-Stadträte Max Marey, Max Rampf, Karl Spegel, Anton Heindl, Quirin Bichler, Martin Heiß und Johann Sorgenfrei im Rosenheimer Amtsgerichtsgefängnis in Schutzhaft genommen worden. Am 30. Juni wurden sie wieder entlassen, nachdem sie zuvor schriftlich ihr Ehrenwort hatten geben müssen, aus der Partei ausgetreten zu sein. Im gleichen demütigenden Schreiben mußten sie den Stadtrat, der de facto nur noch aus Nationalsozialisten bestand, bitten, ihren Austritt zu genehmigen.23)

Der nationalsozialistische Stadtrat

SPD und BVP waren durch unverholenen Druck und durch Verordnungen, die den Schein der Legalität wahren sollten,24) von der Mitwirkung im Stadtrat ausgeschlossen worden. Nach dem erzwungenen Rücktritt der elf BVP- und SPD-Stadträte bestätigte die Regierung von Oberbayern die sieben ihr von Bürgermeister Knorr und Kreisleiter Heliel vorgeschlagenen NSDAP-Mitglieder zur Ergänzung des jetzt auf 16 Sitze verkleinerten Stadtrats.25)
Die Gleichschaltung an der Spitze der Stadtverwaltung wurde im Oktober 1933 abgeschlossen. Nach § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 26)wurde „im Interesse des Dienstes" Rechtsrat Hubert Weinberger - Sozialdemokrat, 1929 Konkurrent Knorrs um den Bürgermeisterposten und 1945 bis 1948 Oberbürgermeister - in den Ruhestand versetzt. Alleiniger Rechtsrat war jetzt Dr. Erich Holper, Parteimitglied seit 1929, Ortsgruppenleiter und SA-Obersturmführer seit 1933. Holper, seit 1930 als Rechtsanwalt in Rosenheim niedergelassen, war am 31. Mai 1933 als Nachfolger des in Pension gegangenen Adam Wander zum berufsmäßigen Rechtsrat, zunächst allerdings nur als Gemeindeangestellter, gewählt worden.27) Erst nach der Wahl Georg Zahlers zum ehrenamtlichen Oberbürgermeister wurde Holper als berufsmäßiger rechtskundiger Stadtrat gewählt.28)
Zu dem bis Mitte der dreißiger Jahre dauernden Machteroberungsund -konsolidierungsprozeß gehörte auch die Aufhebung der kommunalen Selbstverwaltung durch die jetzt reichsweit geltende, nicht mehr von den einzelnen Ländern unterschiedlich formulierte Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935.29) Die Bayerische Gemeindeordnung von 1927 hatte der untersten Verwaltungsebene dem vom Gedanken des Führerprinzips geprägten allumfassenden
Machtanspruch des NS-Regimes zuviel Entscheidungsspielraum zugebilligt. Die neue Gemeindeordnung schloß jetzt den Stadtrat von der Besetzung der Bürgermeisterund Ratsherrenstellen (so die neue Bezeichnung der Stadträte) weitgehend aus. Die Entscheidung darüber lag nun bei Partei- und Staatsstellen.
Zwei Beispiele für diese verlagerte Entscheidungskompetenz: Am 17 Juli 1933 schloß der NSDAP-Fraktionsführer Edmund Kern den Cafetier Rudolf Geisenfelder, der kurz darauf ins KZ Dachau in Schutzhaft kam, aus dem Stadtrat aus, am 5. Juli 1934 mußte Kern selbst auf Druck der Fraktion zurücktreten.30) Als 1936 das außereheliche Verhältnis eines Ratsherren bekannt wurde, waren es das Gauamt für Kommunalpolitik und der Beauftragte der NSDAP für Rosenheim, die über einen Ausschluß aus dem Stadtrat entschieden.31) Gleiches läßt sich für das Bürgermeisteramt zeigen.

Das Amt des Bürgermeisters

Im Gegensatz zu vielen anderen bayerischen Städten blieb in Rosenheim der seit 1929 amtierende Bürgermeister Knorr auch nach dem 10. März 1933 im Amt. Knorr selbst hatte sich in seinem Bewerbungsschreiben an den Rosenheimer Stadtrat als „Anhänger der BVP" bezeichnet, den Nationalsozialisten galt er als Mitglied dieser Partei.32) Knorr hatte in seiner Zeit als Bürgermeister von Forchheim (1920-1929) ein denkbar schlechtes Verhältnis zu den dortigen Nationalsozialisten gehabt, wie aus einem „Abschiedsartikel" des örtlichen, vom späteren bayerischen Kultusminister Hans Schemm redigierten Naziblattes deutlich hervorgeht.33) Nachdem die NSDAP die BVP als herrschende Partei abgelöst hatte, versuchte Knorr, sich den neuen Machtverhältnissen anzupassen. Im März 1933 gab er eine verwaltungsinterne Anweisung an alle Ämter der Stadt heraus, in der er rückhaltlose Unterstützung für den Nationalsozialismus forderte.34) Obwohl sich Knorr den neuen Machthabern also keineswegs entgegenstellte, konnte er sich nicht lange im Amt halten. Die Gründe, warum sich das Verhältnis zwischen dem Bürgermeister und der NSDAP-Fraktion zusehends verschlechterte, lassen sich aus den vorliegenden Quellen in Umrissen rekonstruieren. Knorr unternahm offenbar mehrfach den Versuch, in die NSDAP aufgenommen zu werden. Entgegen Zeitungsmeldungen vom Mai 1933 scheint es ihm aber nicht gelungen zu sein, Parteimitglied zu werden. Wie der Begründung für das Mißtrauensvotum gegen ihn vom 8. März 1934 zu entnehmen ist, versuchte er nach der Ablehnung seines Aufnahmeantrags wegen der Mitgliedersperre weiterhin, der Partei beizutreten. Dabei muß er gehofft haben, über persönliche Kontakte zu einzelnen NSDAP-Stadträten zu seinem Ziel zu kommen, obwohl er der Ortsgruppe und der Fraktion das Versprechen gegeben haben muß, diesbezüglich nichts zu unternehmen. Am 8. Februar 1934 erklärte der Fraktionsvorsitzende Kern Knorr mündlich, daß er nicht mehr das Vertrauen der Partei besitze, da er es unternommen habe, einzelne Stadträte gegeneinander auszuspielen, anstatt sich auf seine Aufgaben als Bürgermeister zu konzentrieren. Am 11. Februar trat Knorr einen wegen seiner schweren Kriegsverletzung notwendig gewordenen Krankheitsurlaub an, seitdem verhandelte sein Rechtsanwalt mit dem Rosenheimer Stadtrat über die Bedingungen eines Dienstlösungsvertrages. Die Amtsgeschäfte leitete seit dieser Zeit der zweite Bürgermeister Zahler.35)
Nachdem ein von der NSDAP-Fraktion gestelltes Ultimatum bezüglich einer Einigung zwischen Knorr und der Stadt am 7. März verstrichen war, ging der Stadtrat mit seinem Mißtrauensantrag jetzt an die Öffentlichkeit.36) Die Fronten hatten sich inzwischen unüberbrückbar verhärtet, der Stadtrat wollte Knorr auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wie Rechtsrat Weinberger lediglich entlassen,37) Knorr bestand aber auf einem sein Auskommen sichernden Dienstlösungsvertrag. In diesen Konflikt schaltete sich zuletzt Innenmmister Wagner persönlich ein. Zur Enttäuschung des Rosenheimer Stadtrats, der sich in zwei Schreiben an untergeordnete Dienststellen im Innenministerium über diese Entscheidung bitter beklagte,38) stellte sich Wagner auf die Seite Knorrs und Heß einen gütlichen Dienstlösungsvertrag unterbreiten. Am 27. Juni 1934 schließlich entzog der Stadtrat in gehenner Sitzung Knorr offiziell das Vertrauen und genehmigte gleichzeitig den Vertrag, demzufolge Knorr ab dem 1. Juli in den dauernden Ruhestand versetzt wurde.39) Fraktionsführer Josef Maier begründete diesen Schritt für die Öffentlichkeit damit, daß Knorr „ [...] seinerzeit der richtige Mann auf diesem Posten war. [...] Für uns Nationalsozialisten ist er nicht der gegebene Mann - im Gegenteil!"40) Knorr habe es nicht verstanden, sich das Vertrauen des nationalsozialistischen Stadtrats zu erwerben, eine Gemeindeführung im Sinne der NSDAP sei unter ihm nicht gewährleistet.41)
Am 5. Juli 1934 beschloß der Stadtrat, als Nachfolger einen ehrenamt-lichen statt eines berufsmäßigen Bürgermeisters zu wählen. Nach diesem Beschluß brauchte die Stelle nicht ausgeschrieben zu werden, sondern konnte mit einem Mitglied der NSDAP-Ortsgruppe Rosenhelm besetzt werden. Die Wahl fiel auf den bisherigen zweiten Bürgermeister Georg Zahler. Er war von 1921 bis 1923 Parteimitglied gewesen und 1929 wieder eingetreten. In diesem Jahr kam er auf der Liste der NSDAP in den Stadtrat. Zahler war 1931 der Gründer der Rosen-helmer SA-Reserve gewesen und bekleidete seit 1941 den Rang eines Obersturmbannführers.42) Ihm als Nichtjuristen stand jetzt Dr. Erich Holper als berufsmäßiger rechtskundiger Stadtrat zur Seite.43) Ins Amt des zweiten Bürgermeisters war Zahler am 27. Juli 1933 gewählt worden als Nachfolger von Dr. Oskar Fritz Metzger, der nach nur zwei Monaten Amtszeit wegen eines völlig zerrütteten Verhältnisses zur Fraktion der NSDAP seinen Rücktritt erklärt hatte.44) Auf eigenen Wunsch, den er mit gesundheitlichen Problemen begründete, schied Zahler am 15. Februar 1938 aus dem Amt des Oberbürgermeisters aus.45)
Beratungen des Parteibeauftragten für den Stadtkreis Rosenhelm, Gauamtsleiter Reichinger, mit den Ratsherren erbrachten Johann Gmelch als Vorschlag für die Nachfolge Zahlers. Gmelch, den Reichsstatthalter Epp am 16. Februar 1938 zum Oberbürgermeister ernannte, war schwerverwundeter Weltkriegsteilnehmer, Parteigenosse seit 1928, SA-Obersturmführer, Stadtrat seit 1935 und Träger verschiedener hoher Parteiauszeichnungen.46) Er war bis Kriegsende im Amt.
Unverkennbar ist die Tendenz der Rosenheimer NSDAP, nach der Ausschaltung der Opposition bis zum Sommer 1933, freiwerdende Sitze im Stadtrat sowie den Posten des Bürgermeisters mit langjährigen, linientreuen Mitgliedern zu besetzen und ab 1935 solche zur Ernennung vorzuschlagen. Am 25. Januar 1939 konnte Kreisleiter Heliel in einer Rede anläßlich der Neuernennung von Ratsherren stolz bilanzieren, daß von den im Stadtrat vertretenen Parteigenossen neun bereits vor dem 9. November 1923 „Aktivisten in der Partei" gewesen seien, daß man sieben Träger des Goldenen Parteiabzeichens im Rathaus sitzen habe, daß 17 Ratsherren bereits vor dem 30. Januar 1933 der NSDAP beigetreten waren und lediglich vier sich erst der an der Macht befindlichen Bewegung angeschlossen hätten.47)

 Walter Leicht

Anmerkungen:

1) Vgl. dazu TYRELL, Albrecht: Voraussetzungen und Strukturelemente des nationalsozialistischen Herrschaftssystems. In: BRACHER, Karl Dietrich, FUNKE, Manfred, JACOBSEN, Hans-Adolf (Hrsg.): Nationalsozialistische Diktatur 1933-1945. Eine Bilanz. Düsseldorf 1983, S. 37 - 72, hier S. 52 ff; JASPER, Gotthard: Die gescheiterte Zähmung. Wege zur Machtergreifung Hitlers 1930 - 1934. Frankfurt 1986, S. 150 f und 175 f.
2) RTW vom 30.1.1936.
3) RTW vom 7./8. 2.1933 sowie die Berichte der Rosenheimer Schutzmannschaft an die Staatsanwaltschaft Traunstein, in: StAM, Polizeidirektion München 6901.
4) RTW vom 8./9. 2.1933 und StAM, Polizeidirektion München 6901.
5) Zur Schutzhaft vgl. das entsprechende Kapitel in dem Beitrag „Der Maßnahmenstaat verdrängt den Rechtsstaat".
6) Zeitschrift des Bayerischen Statistischen Landesamtes 65 (1933), S. 288, 290, 291, 299, 315, 320. Alle Wahlergebnisse der Landtags- und Reichstagswahlen in Rosenheim zwischen 1919 und 1933 sind, verglichen mit den Ergebnissen der oberbayerischen kreisfreien Städte, des Bezirksamts Rosenheim, des Regierungsbezirks Oberbayern und des ganzen Landes, zusammengestellt bei: LEICHT, Walter: Wahlen in Rosenheim 1919 - 1933. In: Rosenheim in den 20er Jahren. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Heimatmuseum Rosenheim 1986/87, hrsg. vom Kulturamt der Stadt Rosenheim, S. 22 - 36.
7) RTW vom 10./11. 3.1933
8) RTW vom 14./15. 3.1933 und RA vom 14.3.1933.
9) Vorläufiges Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich § 12, Art. 1 und 2, RGBL 1933 Teil I, S. 154, sowie StARo, Altregistratur VII A 1 - 132.
10) StARo, Altregistratur VII A 1 -132.
11) RGBL 1933, Teil I S. 83.
12) Bericht der Kriminalschutzmannschaft Rosenheim an den Stadtrat vom 11. 5. 1933 in: StAM, LRA 55411.
13) StARo, Protokolle B/C 1531 b.
14) StARo, Altregistratur VII A 1 -126 und RTW vom 1./2. 6.1933.
15) RA vom 5. 5.1933 und RTW vom 5./6. 5.1933.
16) StARo, Protokolle B/N 1531 b.
17) Bericht der Schutzmannschaft Rosenheim an den Stadtrat vom 13. 3.1933 in: StAM, LRA 55411.
18) StARo, Protokolle B/N 1531 b.
19) Ebenda.
20) Bayerische Staatszeitung und Bayerischer Staatsanzeiger vom 18./19.6.1933.
21) Schreiben Heliels an Zahler: StAM, NSDAP 548.
22) StARo, Protokolle B/C 369 Nr. 50 und RTW vom 28. 3.1933.
23) StARo, Protokolle 1531 b; RTW vom 28./29.6.1933, RA vom 28.6.1933, RA und RTW vom 1./2.7.1933.
24) Die Verordnung zur Sicherung der Staatsführung vom 7. 7.1933 erklärte in §§ 2 und 3 die Zuteilung von Stadtratssitzen an die SPD rückwirkend für ungültig und ordnete eine Neubesetzung „entsprechend dem Volkswillen" an; RGBL 1933, Teil I S. 462.
25) Schreiben der Kammer des Innern der Regierung von Oberbayern an den Stadtrat von Rosenheim vom 22. 7.1933, StARo, Protokolle B/N 1531 a.
26) RGBL 1933, Teil I S. 175.
27) StARo, Altregistratur VII A1 - 128.
28) StARo, Protokolle B/C 369 Nr. 27 und 64; StARo, Altregistratur VII A 1 - 128; RA vom 12.10.1933 und RTW vom 26.10. 1933.
29) RGBL 1935, Teil I S. 49.
30) RTW vom 21./22. 7.1933; StARo, Protokolle B/N 1531 b und StARo, Protokolle B/C 370 Nr. 163.
31) Schreiben des NSDAP-Beauftragten Reichinger an OB Zahler vom 12. 8.1936 und an das Gauamt der NSDAP vom 11. 8. 1936, in: StARo, Protokolle B/N 1531 b.
32) Bewerbungsschreiben Knorrs vom 30. 7. 1929 im Personalakt Knorr, der sich derzeit noch in der Rathausregistratur befindet. Zwei Schreiben der NSDAP-Stadtratsfraktion an Regierungsrat Schmitt und Stabsleiter Köglmeier im Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 29. 3. 1934, Abschriften im Personalakt Knorr.
33) Der Streiter. Kampfblatt der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei, Forchheim Oktober 1929, 6. Jahrgang, Nr. 18.
34) StARo, Benutzerakt Nationalsozialismus!.
35) StARo, Protokolle B/C 370 Nr. 67; RA vom 13.2.1934, sowie die beiden in Anm. 32 genannten Schreiben.
36) RA vom 9. 3.1933.
37) Vgl. oben Anm. 26.
38) Wie Anm. 32.
39) StARo, Protokolle B/C 370 Nr. 142.
40) RA vom 6. 7.1934.
41) RA vom 3. 7.1934.
42) StARo, Altregistratur VII A 1 - 131.
43) Vgl. oben den Abschnitt „Der nationalsozialistische Stadtrat".
44) StARo, Altregistratur VII A 1 - 126 und 129.
45) Schreiben Zahlers an Kreisleiter Heliel vom 26. 8.1937, StARo, Altregistratur VII A 1 -131. Nähere Einzelheiten sind auch aus dem sehr dünnen Personalakt Zahlers nicht zu erschließen.
46) StARo, Altregistratur VII A 1 -143.
47) StARo, Altregistratur Beiakt zu VII A 1 -137.