Der Maßnahmenstaat verdrängt den Rechtsstaat: Schutzhaft und Sondergerichte

Bereits 1941 hat der emigrierte Berliner Jurist und spätere Politologe Ernst Fraenkel in seinem im amerikanischen Exil erschienenen Werk „The Dual State"1) einen fundamentalen Wesenszug des Dritten Reiches analytisch herausgearbeitet, den Dualismus zwischen Maßnahmen- und Normenstaat. Unter Normenstaat versteht Fraenkel darin das Regierungssystem, das mit weitgehenden Herrschaftsbefugnissen ausgestattet ist, um die Rechtsordnung aufrecht zu erhalten, wie sie sich in Gesetzen, Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakten der Exekutive manifestiert. Diese Normen werden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus aber zunehmend ergänzt, verdrängt oder instrumentalisiert durch den Maßnahmenstaat, dessen Kennzeichen Willkür, Gewalt und Terror sowie die Loslösung seiner Organe - Partei, Gestapo, SS - von verfassungsmäßigen und juristischen Kontrollen sind. Eine grundsätzliche Entscheidung des NS-Regimes war die Ausklammerung des politischen Sektors aus dem Geltungsbereich der allgemeinen Rechtsordnung. Durch immer neue, zuweilen speziell für eine bereits begangene Tat nachträglich eingeführte Verordnungen, die immer rigoroser angewandt wurden, schwang das Pendel zusehends zum Maßnahmenstaat hin aus, vom Rechtsstaat blieben höchstens rudimentäre Reste. Am Beispiel von in Rosenheim erfolgten Schutzhaftmaßnahmen und der vor dem Sondergericht München in Rosenheim verhandelten Fälle soll dies veranschaulicht werden.

Die Schutzhaft als politische Waffe

Eine im Machteroberungsprozeß von den Nationalsozialisten immer wieder eingesetzte Terrormaßnahme war die Schutzhaft. Diese „hatte es in Deutschland bis dahin nur als zeitlich, lokal und juristisch begrenzte Polizeihaft in Ausnahmefällen gegeben". Durch die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" vom 28. Februar 1933 wurde die „Schutzhaft institutionalisiert als eine politische Haft zur vorbeugenden Bekämpfung aller potentiellen Gegner des NS-Regimes". Sie wurde „ausdrücklich als vorbeugende Polizeimaßnahme ohne jede rechtliche Beschränkung anerkannt und massenhaft angewandt".2) Die ersten nachweisbaren Verhaftungen in Rosenheim wurden im März 1933 vorgenommen. Die betroffenen Personen waren der Reichsbannerführer Furtner, der Gewerkschaftsfunktionär und Herausgeber des gewerkschaftlichen „Mitteilungsblatts" Waldinger, der Sozialdemokrat Sepp Sebald sowie fünf Kommunisten.3) Nach weiteren Verhaftungen befanden sich Mitte März 1933 an die dreißig politische Gefangene in Schutzhaft im Rosenheimer Amtsgerichtsgefängnis4) Den Willkürcharakter des NS-Regimes, das durch die Reichstagsbrandverordnung schlagartig den Unrechtsstaat etabliert hatte, kennzeichnen die Merkmale der Schutzhaft: nach deren Verhängung stand es im Beheben der Polizei, einen Häftling im örtlichen Gefängnis zu behalten, ihn in Konzentrationslager einzuliefern oder ihn der Justiz zu übergeben. Die Polizei bestimmte somit über Zeitpunkt oder Durchführung eines möglichen Verfahrens, und keinerlei Kontrollmöglichkeiten der Gerichte boten dem Schutzhäftling ein Mindestmaß an Sicherheit vor der Willkür der Gestapo.5)
Am frühen Morgen des 21. April führte die gesamte Rosenheimer Schutzmannschaft, unterstützt durch Teile der SA, eine „politische Razzia" in der Hofleiten durch, das ganze Gebiet wurde abgeriegelt und elf Kommunisten aus den Betten heraus verhaftet. Gleichzeitig wurden zehn bereits länger Inhaftierte aus dem Amtsgerichtsgefängnis entlassen.6) Zum 1. Mai wurden weitere zehn Mitglieder von SPD und KPD entlassen,7) die nächste große Verhaftungsaktion lief im Sommer an. Nach der Verhaftung der BVP-Stadträte8)wurden am Morgen des 29. Juni die ehemaligen SDP-Stadträte Hans und Heinrich Geistaller, Johann Gandorfer, Albert Korn, Ludwig Trä, Josepha Blaser, Anton Furtner, Johann Laußer und Ludwig Winkler verhaftet.9) Während die BVP-Stadträte nach wenigen Tagen aus dem Rosenheimer Amtsgerichtsgefängnis freikamen, wurden die Sozialdemokraten mit Ausnahme der erkrankten Josepha Blaser ins KZ Dachau überstellt, zusammen mit dem nachträglich noch verhafteten ehemaligen SPD-Stadtrat Otto Bucher, Oberbauinspektor beim Wohnungsamt und 1945/46 zweiter Bürgermeister.10) Sepp Sebald, Oberbürgermeister von Rosenheim 1958 bis 1960, hatte sich nach seiner Freilas-sung nach Österreich abgesetzt und wurde am 26. Februar 1935 beim Grenzübertritt in Kufstein von der politischen Polizei wegen antifaschistischer Betätigung festgenommen. Genau ein Jahr mußte er dann als Schutzhäftling im KZ Dachau verbringen. Im August 1944 wurde Sebald auf Anordnung der Gestapo erneut verhaftet, diesmal wurde er am 6. Oktober aus Dachau entlassen.11)
Die Haftdauer war dem Willkürcharakter der Schutzhaft entsprechend sehr unterschiedlich. Der am 29. Juni verhaftete Albert Korn wurde bereits am 8. Juli wieder entlassen,12) Anton Furtner kam im Zuge einer Weihnachtsamnestie mit mehreren namentlich nicht genannten Rosenheimern frei13). Zusammen mit vier anderen kehrte Mitte Januar 1934 der seit März verhaftete Gewerkschaftsführer Waldinger zurück14). Als letztes der hier exemplarisch genannten Opfer der Schutzhaft wurde am 10. Februar 1934 nach sieben Monaten Heinrich Geistaller aus Dachau entlassen.15) Für nicht wenige Gegner des NS-Regimes bedeutete dagegen die Schutzhaft den Tod.

Rosenheimer vor dem Sondergericht München

Ein typisches Beispiel dafür, wie die Nationalsozialisten das Justizwesen umfunktionierten zu einer Stütze ihres Regimes, ist die Einrichtung der Sondergerichte, die durch eine Verordnung der Reichsregierung am 21. März 1933 geschaffen wurden.16) Das Sondergericht München beim Landgericht München I wurde geschaffen durch eine Bekanntmachung des bayerischen Justizministeriums vom 24. März 1933 und war zuständig für den Bezirk des Oberlandesgerichts München. Die Kompetenz dieser Sondergerichte wurde von zunächst speziell bezeichneten politischen Vergehen oder Verbrechen zunehmend ausgeweitet und umfaßte seit 1940 praktisch jede Straftat. Das Sondergericht tagte an verschiedenen Orten seines Bezirks, um bei verkürztem Rechtsweg eine schnellstmögliche Bestrafung zu erreichen. „Das rigorose Strafverfahren vor dem Sondergericht, gegen dessen Entscheidung es kerne Rechtsmittel gab, galt den Rechtspolitikern des Dritten Reiches als Ideal nationalsozialistischer Rechtspflege".17) Die gegen Rosenheimer Angeklagte gefällten Urteile beruhten auf Verstößen gegen
1. das Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Partei und Staat und zum Schutz der Parteiuniform vom 20. Dezember 1934,18) das „unwahre oder gröblich entstellte Behauptungen, gehässige, ketzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über das Regime" unter Strafe stellte;
2. die Kriegswirtschaftsverordnung vom 4. September 1939,19) die das Wirtschaftsleben besonderen Reglementierungen unterstellte;
3. die Verordnung gegen Volks-schädlinge vom 5. September 1939,20) die beschleunigte Strafverfahren und verschärfte Urteile bei Delikten einführte, die durch den Krieg begünstigt wurden;
4. die Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden vom 4. Dezember 1941 und ihre Ergänzungsverordnung vom 31. Januar 1942;21)
5. die Wehrkraftschutzverordnung vom 25. November 1939.22)

Die Prozeßakten des Sondergerichts München sind gut überliefert, allerdings ist die genaue Anzahl der Verhandlungen, die es führte, nicht mehr feststellbar, da die Hauptverfahrensregister als verloren angesehen werden müssen. Wie groß die Lücken in den Aktenbeständen sind, ist wegen der Luftkriegsschäden und Nachkriegswirren unklar. Für Rosenheim sind 72 Fälle erhalten, in denen das Sondergericht München im großen Saal des Amtsgerichts verhandelte. Von diesen 72 Fällen wurden hier 14 nicht berücksichtigt, weil sie Tatbestände wie Mord, Betrug oder Sprengstoffanschlag betreffen, die auch in einem rechtsstaatlichen Justizsystem Strafverfolgung nach sich ziehen . Für unsere Fragestellung sind somit 58 NS-spezifische Anklagen interessant. In vierzig Fällen erhob der Staatsanwalt Klage wegen Regimekritik, achtmal wegen Wirtschaftsvergehen, fünfmal wurde der verbotene Umgang mit Kriegsgefangenen geahndet, je zwei Fälle religiöser Verfolgung und von Verdunkelungsverbrechen wurden verhandelt, einmal stand ein Betrüger vor Gericht, dessen Fall deshalb hier aufgenommen wurde, weil er unter die Kategorie des von den Nationalsozialisten neu geschaffenen „gefährlichen Gewohnheitsverbrechers" fällt.

Verfahren wegen Regimekritik

Von den vierzig Verfahren, die wegen Verstoßes gegen das Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Partei und Staat eingeleitet worden sind, wurden neunzehn eingestellt, dreizehn davon vor Kriegsbeginn. In vier Fällen erfolgte Freispruch, davon wiederum dreimal vor dem 1. September 1939, zweimal wurden Parteimitglieder freigesprochen.23) Ein Freispruch24)erfolgte im Fall eines als homosexuell bekannten Viehhändlers, den ein Rosenheimer Wachtmeister in Zivil zu regimekritischen Äußerungen provozierte und anschließend anzeigte. Nach der Aussage des Polizisten, der die Worte des Angeklagten sehr weitgehend interpretierte, entschied das Gericht auf Freispruch, weil klar geworden war, daß der Polizist den Viehhändler wegen dessen hier nicht zur Debatte stehender Homosexualität als Regimegegner anschwärzen wollte und er deshalb zum agent provocateur geworden war. Von den siebzehn Verurteilungen erfolgten zehn25)vor und sieben26)während des Krieges. Die durchschnittliche Gefängnisstrafe bei den vor September 1939 gefällten Urteilen betrug viereinhalb Monate. Selbst für das nach dem Heimtückegesetz schwerste Delikt, eine Beleidigung Hitlers, beispielsweise als Vaterlandsverräter, wurde lediglich auf vier Monate Haft erkannt.27)
Nach Kriegsbeginn stieg das Strafmaß für regimekritische Äußerungen rapide an, das Sondergericht verhängte jetzt durchschnittlich ein Jahr Gefängnis, in einem Fall sogar achtzehn Monate Zuchthaus und zwei Jahre Ehrverlust.28) Ende März 1945 wurde eine landwirtschaftliche Arbeiterin zu achtzehn Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie sich einer Bekannten gegenüber darüber mokiert hatte, daß diese in ihrem Zimmer noch ein Führerbild hängen hatte.29) Die Polizei erfuhr von solchen Äußerungen in den allermeisten Fällen durch Denunziation. Diese konnte erfolgen durch den direkten Gesprächspartner, durch zufällige Ohrenzeugen,30) durch ein offizielles Schreiben eines Parteifunktionärs oder durch einen anonymen Brief, den „Ein guter Deutscher und Nationalsozialist" abgeschickt hatte.31) Lieferte dieser aus Überzeugung eine Sechzigjährige der Gestapo ans Messer (ein Jahr Gefängnis für die 1943 gemachte Bemerkung, der Krieg sei verloren), so waren es oft genug auch nachbarschaftliche Animositäten, die jemanden zum Denunzianten werden ließen.32)

Fälle von „Sabotage" und Urteilsrevisionen nach 1945

Unter „Sabotage" aus der Sicht der Nationalsozialisten werden hier die acht Fälle subsumiert, die wegen Verstoßes gegen die Kriegswirtschaftsverordnung oder gegen die Volksschädlingsverordnung vor das Sondergericht kamen.33) Alle deswegen Angeklagten wurden verurteilt, in drei Fällen zu Gefängnisstrafen zwischen acht und achtzehn Monaten, die übrigen Angeklagten erhielten eine durchschnittliche Zuchthausstrafe von zweieinhalb Jahren sowie Ehrverlust zwischen zwei und vier Jahren zugemessen. Die Vergehen, derer sie sich schuldig gemacht hatten, waren das Zurückhalten von Waren als Kaufmann, Schwarzschlachten, Hamstern und Tauschhandel, Unterschlagung von Lebensmittelmarken oder der Diebstahl von Feldpostpäckchen. Wenngleich die Strafwürdigkeit der beiden letztgenannten Delikte auch heute außer Frage steht, und die anderen Tatbestände durch die Kriegswirtschaftsverordnung mit Strafe bedroht, eine Verfolgung somit zwangsläufig war, so ist doch die Höhe der Strafzumessung charakteristisch für die damalige Unrechtsjustiz.
Nach dem Zweiten Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege vom 19. November 1946 wurden dann auch mehrere dieser Urteile abgeändert. So wurde der wegen Zurückhaltens von Waren am 1. Juli 1943 gefällte Spruch von achtzehn Monaten Zuchthaus und zwei Jahren Ehrverlust am 22. Dezember 1947 von der Ersten Strafkammer des Landgerichts München I „als übermäßig hart und deshalb als nationalsozialistisch" eingestuft und in eine einjährige Gefängnisstrafe umgewandelt.34)
Analog dazu wurden die allermeisten Verurteilungen wegen Regimekritik, die sich auf das Heimtückegesetz oder die Volksschädlingsverordnung stützten, durch Beschluß der Staatsanwaltschaft München I oder des Landgerichts München I, begründet durch das Wiedergutmachungsgesetz vom 28, Mai 1946, aufgehoben.35) Gleiches gilt für die im folgenden Kapitel zu behandelnden Fälle.

Verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen

Ein regimetypischer Straftatbestand war der „verbotene Umgang mit Kriegsgefangenen", das heißt sexuelle Kontakte deutscher Frauen mit zum Arbeitseinsatz herangezogenen ausländischen Soldaten, eine menschliche Regung, die gegen die Wehrkraftschutzverordnung verstieß. Die wegen solcher „das gesunde Volksempfinden gröblich verletzender" Handlungen verurteilten Frauen, die „jeden Funken eines nationalen Bewußtseins fehlen lassen"36) mußten eine Freiheitsstrafe zwischen einem Monat Gefängnis37)und einundzwanzig Monaten Zuchthaus sowie Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf zwei Jahre verbüßen.38) Noch schärfer bestraft wurde eine in Rosenheim tätige polnische Hausgehilfin, die wegen ihrer Freundschaft mit einem französischen Kriegsgefangenen nach der Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden, die ein verschärftes Sonderrecht vorsah, zu achtzehn Monaten Straflager verurteilt wurde.39)

Religiöse Verfolgung

Neben den drei bisher behandelten Straftatbeständen ist für die Justizgeschichte des Dritten Reichs auch typisch die Verfolgung bestimmter religiöser Gruppen. Relativ glimpflich für die Rosenheimer Angeklagten gingen die Sondergerichtsverfahren wegen religiöser Betätigung aus. Zwischen Mai 1933 und Mai 1941 mußten sich verschiedene örtliche Gruppen der Zeugen Jehovas vor den Richtern des von ihnen eindeutig abgelehnten nationalsozialistischen Staates verantworten. Aus Glaubensgründen verweigerten die Zeugen Jehovas den Hitlergruß, leisteten keinen Eid und lehnten den Wehrdienst ab. In den Rosenheimer Fällen wurden die Verfahren teils eingestellt, teils wurden Haftstrafen von höchstens einem Monat Gefängnis ausgesprochen.40) Wegen Verbreitung ihrer Schriften und Fortführung der Vereinigung der Ernsten Bibelforscher wurden 1936 fünf Personen angeklagt und bei einem Freispruch zu Gefängnisstrafen zwischen zwei und sechs Monaten verurteilt.41) Diese für die damalige Rechtssprechung verhältnismäßig milden Urteile dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft in großer Zahl in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern einsaßen und darin umkamen.

Direkte und indirekte Todesurteile

Die Brutalisierung der Justiz im Dienst des Regimes verdeutlichen die zwei Fälle, in denen sich Rosenheimer wegen Verdunkelungsverbrechen verantworten mußten, sowie eine Verurteilung als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher. Ein mehrfach vorbestrafter Büroarbeiter, der SA-Mitglied gewesen war, erschwindelte sich nach seiner letzten Haftentlassung 1940 mit einer gefälschten Stammrolle, die ihn als hochdekorierten Offizier des Ersten Weltkriegs auswies, einen Arbeitsplatz in der Papierfabrik Niedermayer sowie Darlehen bei verschiedenen Rosenheimer Banken. Nachdem der Schwindel aufgeflogen war, wurde er als „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher [...], dessen dauernde Verwahrung notwendig ist" zu fünf Jahren Zuchthaus und Sicherungsverwahrung verurteilt. Am 1. Juni 1943 wurde er auf Anordnung des Reichsjustizministeriums ins Konzentratrationslager Mauthausen verbracht. Eine Aktennotiz der Staatsanwaltschaft München an das Sondergericht vom 8. Juni 1943 bedeutete für ihn das informelle Todesurteil: Diese Notiz besagte, daß die den Fall betreffenden Akten „weggelegt" werden könnten, da entsprechend einer Weisung des Reichsjustizministers nicht beabsichtigt sei, den Strafvollzug nach der Abgabe des Gefangenen an das Konzentrationslager fortzusetzen. In Mauthausen verliert sich seine Spur.42)
Im Herbst 1940 verübte ein arbeitsloser Hilfsarbeiter mehrere Einbrüche in Rosenheimer Geschäften. Schwerer als die Einbrüche selbst wurde ihm nach seiner Verhaftung zur Last gelegt, daß er die kriegsbedingte Verdunkelung für sein Vorhaben ausgenutzt hatte. Wegen „ehrloser Gesinnung" und wegen Verstoßes gegen die Volksschädlingsverordnung (§ 2: Verdunkelungsverbrechen) wurde er zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 1. April 1941 überstellte ihn das Zuchthaus Amberg an die Gestapo, und noch am selben Tag wurde er im KZ Buchenwald „wegen Widerstand" erschossen.43)
Ein Fall, dessen Ausgang zwar formaljuristisch nicht angreifbar ist, weil der Kommentar, auf den sich das Urteil stützt,44) mit den bis heute üblichen Instrumenten zur Auslegung von Vorschriften arbeitet, der aber die völlig maßlose Strafverschärfung durch, rechtsposi-tivistisch gesehen, korrekte Verordnungen belegt, ereignete sich im Sommer 1942 in Rosenheim. Ein Reichsbahngehilfe, NSDAP- und SS-Mitglied, hatte fünfmal versucht, Frauen zu vergewaltigen. Im Frühjahr 1943 verhaftet, konnte ihm das Sondergericht nach den Aussagen der Opfer jeweils lediglich versuchte, nicht aber vollendete Vergewaltigung nachweisen. Das weiterhin gültige Strafgesetzbuch bedrohte vollendete Gewaltunzucht mit bis zu zehn Jahren Zuchthaus, mildernde Umstände konnten die Strafe bis auf sechs Monate Gefängnis senken. Der Versuch war strafbar, da der Tatbestand als Verbrechen definiert ist.45) Diese Strafandrohung wurde, da die Tat jeweils bei Verdunkelung geschah, nach § 2 der Volksschädlingsverordnung (Verdunkelungsverbrechen) durch die Todesstrafe ersetzt. Die in übelstem Propagandastil gehaltene Urteilsbegründung vom 7. April 1943 stützte sich dann auch ausschließlich auf diese Verordnung. Der Verurteilte wurde am 25. Juni 1943 in Stadelheim mit dem Fallbeil hingerichtet.
Bemerkenswert ist, daß das Regime mit dieser Todesstrafe keine Abschreckung beabsichtigte, da nach Anweisung des Reichsjustizministers vom 11. Juni 1943 jegliche Bekanntmachung in der Zeitung oder per Anschlag zu unterbleiben hatte.46)

Walter Leicht

Anmerkungen:

1) FRAENKEL, Ernst: Der Doppelstaat. Recht und Justiz im Dritten Reich. Frankfurt 1974.
2) KOLB, Eberhard: Die Maschinerie des Terrors. Zum Funktionieren des Unterdrückungs- und Verfolgungsapparats im NS-System. In: BRACHER, Karl Dietrich, FUNKE, Manfred, JACOBSEN, Hans-Adolf (Hrsg.): Nationalsozialistische Diktatur. Eine Bilanz. Düsseldorf 1983, S. 276 f.
3) RTW vom 11./12. 3.1933.
4) RTW vom 13./14. 3 1933, RTW vom 15./ 16.3.1933.
5) Vgl. KOLB, Maschinerie des Terrors, S. 277.
6) RTW vom 21./22.4 1933 und RTW vom 22./23.4.1933.
7) RTW vom 2./3. 5.1933.
8) Vgl. oben im Beitrag Die nationalsozialistische Machteroberung: Der Kampf gegen die BW.
9) RA vom 30.6.1933 und RTW vom 31.6. 1933
10) RA vom 3. 7.1933.
11) StARo, Personalakt Sepp Sebald.
12) RTW vom 8./9.7.1933.
13) RTW vom 7.12. 1933, RTW vom 9./10. 12.1933 und RTW vom 13.12.1933.
14) RTW und RA vom 20./21.1.1934.
15) RA und RTW vom 12. 2.1934.
16) RGBL 1933, Teil I S. 136.
17) Nach: Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933 - 1945. Archivinventare Band 3. Sondergericht München, Teil 7: Register 1, Einleitung S. 2337 - 2350. München 1977.
18) RGBL 1934, Teil I S. 1269.
19) RGBL 1939, Teil I S. 1609, 1700; am 25. 3.1942 wurden in einer Ergänzungsverordnung die Strafbestimmungen noch erweitert, RGBL 1942, Teil I S. 147.
20) RGBL 1939, Teil I S. 1679.
21) RGBL 1941, Teil I S. 52.
22) RGBL 1939, Teil I S. 2319.
23) StAM, Staatsanwaltschaften 8304 und 9005.
24) Ebenda 8061.
25) Ebenda 1601, 1631, 7998, 8025, 8067, 8072, 8276, 8383, 8740.
26) Ebenda 11511, 11586, 12302, 12602, 12615,13179,13861.
27) Ebenda 8383 und 1631.
28) Ebenda 13179.
29) Ebenda 13861.
30) Ebenda 11586.
31) Ebenda 12615.
32) Ebenda 12602 und 11511.
33) Ebenda 11709, 11830, 11849, 12250, 12946, 12953, 12993,13924.
34) Ebenda 11830.
35) Ebenda 11511, 11586, 11602, 12615, 13861.
36) So die Urteilsbegründung in dem zwei Rosenheimerinnen betreffenden Fall StAM, Staatsanwaltschaften 12717.
37) StAM, Staatsanwaltschaften 13584.
38) Ebenda 9610.
39) Ebenda 12580.
40) Ebenda 8551, 8574 und 8576.
41) Ebenda 8252.
42) Ebenda 9986.
43) Ebenda 9666.
44) FREISLER, Roland: Deutsches Strafrecht. Bd 1, Berlin 1941, S. 40 und S. 51 f. Für ausführliche Beratung zu diesem Aspekt bin ich Frau cand. jur. Martina Imdahl, Tübingen, zu großem Dank verpflichtet.
45) Reichsstrafgesetzbuch, Leipziger Kommentar EBERMEYER, LOBE, ROSENBERG, Berlin, Leipzig, Vierte Auflage 1929; R. FRANZ: Das Strafgesetzbuch, München, achtzehnte Auflage 1931, Einleitung § 1 und II. Abschnitt § 43.
46) StAM, Staatsanwaltschaften 12267.